Der Bundesgerichtshof hat am Dienstag entschieden, dass die antijüdische Skulptur an der Fassade der Wittenberger Stadtkirche nicht entfernt werden muss. Es fehle dem jüdischen Kläger an einer gegenwärtigen Rechtsverletzung, urteilte der VI. Zivilsenat.
Durch eine Bodenplatte und eine Schrägaufsteller unterhalb des Reliefs wurde nach Überzeugung der Richter das Schandmal in ein Mahnmal umgewandelt. Dabei gehe es um die Erinnerung an die jahrhundertealte Diskriminierung und Verfolgung von Juden bis hin zum nationalsozialistischen Völkermord. Die deutsche Rechtsordnung gebiete keine Beseitigung des Reliefs.
Die evangelische Kirche reagierte erleichtert auf das Urteil, versprach aber gleichzeitig, sich intensiver mit judenfeindlichen Traditionen in Bildern und Texten auseinandersetzen zu wollen. Es gelte jetzt, an der Kirche noch mehr zu tun, um mit einer klaren Botschaft »das da oben zu entkräften«, sagte der Wittenberger Pfarrer Alexander Garth. Was genau passieren soll, könne er noch nicht sagen, er wolle »dem kreativen Prozess nicht vorgreifen«.
Der Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Christian Staffa, erklärte, eine juristische Lösung alleine reiche nicht aus. »Es geht um intensivere Aufklärung und aus meiner Sicht auch um visuell andere Lösungen.« Dies könnten etwa Verhüllungen sein, die judenfeindliche Darstellungen nicht kaschierten, aber das Erbe der Judenfeindlichkeit in der protestantischen Tradition thematisierten. Dazu müssten auch andere Kunstwerke in den Blick genommen werden.
Aus Sicht des zuständigen evangelischen Landesbischofs von Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, schafft das Urteil »die nötige Klarheit, um die Weiterentwicklung des Mahnmals voranzubringen. Es herrscht Konsens, dass die gegenwärtige Informationstafel sowie das Mahnmal in Form einer Bodenplatte heute nicht mehr dem Anspruch genügen, die Wirkung der judenfeindlichen Schmähplastik an der Fassade zu brechen.« Die Landeskirche wolle die Wittenberger Stadtkirche dabei unterstützen.
Die als »Judensau« bekannte Plastik ist in etwa vier Metern Höhe an dem Kirchengebäude angebracht. Dargestellt ist eine als Rabbiner karikierte Figur, die den Schwanz eines Schweins anhebt und das im Judentum als unrein geltende Tier von hinten betrachtet. Zwei weitere als Juden gezeigte Figuren saugen an den Zitzen. Eine vierte Figur hält Ferkel von der Muttersau fern.
Der jüdische Kläger Michael Düllmann kämpft seit 2018 gerichtlich für die Entfernung der Skulptur, weil er sie als beleidigend empfindet. Der Streit hat grundsätzliche Bedeutung. In Europa gibt es geschätzte 50 weitere ähnliche Darstellungen an Kirchen. 2020 hatte das Oberlandesgericht Naumburg die Klage abgewiesen. Düllmann hat angekündigt, sich im Falle einer Niederlage vor dem BGH ans Bundesverfassungsgericht und gegebenenfalls auch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wenden zu wollen.