In einem langen Interview mit dem Portal »t-online« erwähnte Europastaatsminister Michael Roth vergangenen Freitag unter anderem den Antisemitismus in Ungarn und fügte hinzu: »Ich kann nicht kritisch über den Antisemitismus in anderen Ländern sprechen, ohne den erschreckenden Zuwachs an antisemitischen Straftaten in Deutschland zu nennen.« Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó reagierte prompt.
Er belehrte seinen deutschen Kollegen, dass Juden in Ungarn sicher seien und die jüdische Kultur blühe. Darüber hinaus gab er Roth den guten Rat, doch vor der eigenen Haustür zu kehren. Obwohl dieser gerade das getan hatte. Tatsächlich gibt es in Budapest ein reges kulturelles jüdisches Leben. Gleichwohl kommen von Viktor Orbán und seinen Anhängern immer wieder antisemitische Töne.
györgy soros So äußerte etwa Parlamentspräsident László Kövér am 28. April in der regierungsnahen Wochenzeitung »Demokrata«: »Der Spekulant ist ein Mensch, der ohne Arbeit, Leistung und Wertschöpfung von den von anderen produzierten Werten schmarotzt. Das schönste Beispiel dafür ist György Soros, dem es nicht genügt, dass er, Länder, Gesellschaften begaunernd und demolierend, einer der reichsten Menschen der Welt wurde.«
Gleichwohl kommen von Viktor Orbán und seinen Anhängern immer wieder antisemitische Töne.
Premier Orbán legte am 19. Juni im »Kossuth Rádió« nach: »Es gibt eine internationale Politik, die nationale Regierungen und Nationen schwächen, liquidieren und in ein Reich einordnen möchte. Diese wird von über den Staaten stehenden globalen, internationalen Organisationen und den diese finanzierenden (…) Geschäftsleuten, Geldmenschen betrieben.«
eu-geld Roth regte an: EU-Geld sollen nur Mitglieder erhalten, die sich an geltendes Recht halten. Immerhin gehört Ungarn mit 5,1 Milliarden Euro zu den größten Nettoempfängern des EU-Haushalts 2019.
Orbán ist besorgt, der Geldhahn könnte abgedreht werden, und ließ wegen des vorgeblich in Ungarn nicht existierenden Antisemitismus den deutschen Botschafter in Budapest ins Außenministerium einbestellen. In Wien nennt man so etwas Chuzpe.
Der Autor ist Journalist in Wien.