USA

»Sicherer Hafen«

Für Einwanderer führte der Weg in die USA über Ellis Island. Viele Nazis aber genossen Sonderprivilegien. Foto: imago

Die USA haben nach 1945 bis zu 10.000 hochrangige Nazis aus ganz Europa aufgenommen. Das geht aus einem 600-Seiten-Bericht des US-Justizministeriums hervor, der jetzt veröffentlicht wurde – vier Jahre nach seiner Fertigstellung.

giftschrank Alleine mit der »Operation Paperclip« kamen 1.600 Nazi-Wissenschaftler in die USA. Meist wussten die Behörden über deren Vergangenheit Bescheid oder halfen gar, sie zu vertuschen. Erst seit 1979 sorgte das Office of Special Investigation (OSI) dafür, dass eingebürgerte Amerikaner ausgewiesen oder Ausländern Visa verweigert wurden. Vieles ist zwar schon erforscht worden – zuletzt von Wissenschaftlern der George Washington University (U.S. Intelligence and the Nazis). Aber einiges Neue enthält der Bericht des OSI durchaus.

Vor allem beschäftigt sich erstmals eine Regierungsstelle damit. Zuvor lagerte die Studie im Giftschrank. Erst Barack Obama erlaubte die Herausgabe des Papiers, das von einem »sicheren Hafen« für NS-Täter spricht. Selbst der nun zugängliche Report ist unvollständig. Vieles wurde gestrichen und damit der Öffentlichkeit vorenthalten. Der New York Times aber wurde eine vollständige Kopie zugespielt.

Zu den interessanten Details gehört, dass das Justizministerium offenbar versucht hatte, Josef Mengele zu finden, den »Todesengel von Auschwitz«, allerdings erst Mitte der 80er-Jahre. Damals vermutete man, Mengele lebe unter falschem Namen in den USA (tatsächlich starb er 1979 in Paraguay). Sogar über ein Stück seiner Kopfhaut verfügte das OSI. Ein anderer bekannter Fall ist Arthur Rudolph, der die Raketenfabrik in Mittelwerk leitete, wo Tausende von Zwangsarbeitern starben. Ru- dolph gilt neben Wernher von Braun als Vater der Raumfahrt, er entwickelte die Mondrakete Saturn V. Als gegen ihn ermittelt wurde, floh er nach Deutschland und wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Insgesamt 127 Raketenforscher kamen in die USA, darunter Hubertus Strughold, der Häftlinge in Dachau umbringen ließ, indem er Bedingungen simulierte, wie sie in zehn Kilometern Höhe herrschen. Die NASA nutzte seine Forschung für die Raumfahrt.

barbie Zu den Nazis, die von der CIA geschützt wurden – der Geheimdienst hatte ein Kontingent von Visa, die vom State Department nicht geprüft wurden –, gehörten Klaus Barbie, der »Schlächter von Lyon«, IG-Farben-Manager Otto Ambros, der für den Einsatz von Zyklon B in den Gaskammern zuständig war, und Otto von Bolschwing, der für Adolf Eichmann die Juden Rumäniens umbrachte. Die CIA besorgte ihm einen neuen Lebenslauf. Erst 1981 versuchte das Justizministerium, Bolschwing auszuweisen. Vergebens. Er starb als Amerikaner. Die CIA schützte auch Tscherim Soobzokov, einen Angehörigen der Waffen-SS aus dem Kaukasus. Er gewann einen Prozess gegen seine Deportation, fiel aber 1985 einem Bombenanschlag radikaler Juden in New Jersey zum Opfer.

Zu den Passagen, die es laut New York Times nicht in den Bericht geschafft haben, gehören Details über den früheren österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim. Auch eine interne Debatte, ob Ronald Reagan weißrussische Nazis in die USA gebracht habe, wie das OSI glaubt, wurde gestrichen.

demjanjuk Was der Bericht ebenfalls nur ansatzweise behandelt, ist das Versagen des OSI im Fall John Demjanjuk. Die Behörde hatte wissentlich Dokumente zurückgehalten, die den Ukrainer entlastet hätten, als er wegen Mordtaten in Treblinka angeklagt war. Das wurde erst bekannt, nachdem die Archive in der Sowjetunion geöffnet wurden. Demjanjuk hatte damals seine US-Staatsbürgerschaft verloren, kam in Israel vor Gericht. Doch dort sprach man ihn frei. Daraufhin erhielt er seinen Pass zurück. Heute steht Demjanjuk in Deutschland vor Gericht. Er soll in Sobibor Beihilfe zum Mord in 27.000 Fällen geleistet haben.

Meinung

Die UN, der Holocaust und die Palästinenser

Bei den Vereinten Nationen wird die Erinnerung an den Holocaust mit der »Palästina-Frage« verbunden. Das ist obszön, findet unser Autor

von Jacques Abramowicz  25.04.2025

80 Jahre nach Kriegsende

»Manche Schüler sind kaum noch für uns erreichbar«

Zeitzeugen sterben, der Antisemitismus nimmt zu: Der Geschichtsunterricht steht vor einer Zerreißprobe. Der Vorsitzende des Verbands der Geschichtslehrerinnen und -lehrer erklärt, warum Aufgeben jedoch keine Option ist

von Hannah Schmitz  25.04.2025

Washington D.C.

Trump beschimpft Harvard als »antisemitische, linksextreme Institution«

Der US-Präsident geht vehement gegen Universitäten vor, die er als linksliberal und woke betrachtet. Harvard kritisiert er dabei besonders heftig

 25.04.2025

Berlin/Jerusalem

Herzog kommt in die Bundesrepublik, Steinmeier besucht Israel

Der Doppelbesuch markiert das 60-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Ländern

 25.04.2025

«Nie wieder»

Dachauer Gedenkstättenleiterin warnt vor ritualisierten Formeln

Die KZ-Gedenkstätte Dachau erinnert am 4. Mai mit einer großen Feier mit 1.800 Gästen an die Befreiung des ältesten Konzentrationslagers durch amerikanische Truppen am 29. April 1945

von Susanne Schröder  25.04.2025

Geschichte

Bundesarchiv-Chef warnt vor dem Zerfall historischer Akten

Hollmann forderte die künftige Bundesregierung auf, einen Erweiterungsbau zu finanzieren

 25.04.2025

Israel

Regierung kondoliert nach Tod des Papstes nun doch

Jerusalem löschte Berichten zufolge eine Beileidsbekundung nach dem Tod des Papstes. Nun gibt es eine neue

 25.04.2025

Berlin/Grünheide

Senatorin verteidigt ihre »Nazi«-Äußerung zu Tesla

Berlins Arbeitssenatorin spricht im Zusammenhang mit der Marke von »Nazi-Autos«. Daraufhin gibt es deutliche Kritik. Die SPD-Politikerin reagiert

 25.04.2025

Berlin

Shapira-Prozess gegen FU Berlin soll im Sommer starten  

Der jüdische Student wirft seiner Hochschule vor, zu wenig gegen den Judenhass auf dem Campus vorzugehen

 25.04.2025