Frau Czyborra, sollte ein Student, der einen anderen Studenten krankenhausreif geschlagen hat, exmatrikuliert werden?
Zunächst muss das Strafrecht greifen. Vor diesem Hintergrund muss die Freie Universität konsequent von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und den Täter mit einem Hausverbot belegen, und zwar so lange, bis der strafrechtliche Prozess abgeschlossen ist. Es ist unerträglich, wenn ein Opfer einer Gewalttat in der Hochschule auf die Täter trifft. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass die Freie Universität am Freitag gegenüber dem Täter ein dreimonatiges Hausverbot zum Schutz der Mitglieder der Hochschule erlassen hat, das verlängert werden kann. In Bezug auf die Exmatrikulation haben wir bundesweit das Problem, dass sie rechtlich schwer durchführbar ist und vor allem erst sehr viel später greifen kann. In Berlin haben wir darüber hinaus aktuell die Situation, dass eine Exmatrikulation rechtlich nicht möglich ist.
Aber grundsätzlich besteht die Frage: Sollte so jemand exmatrikuliert werden?
Wir müssen die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen prüfen und gegebenenfalls nachjustieren. Das kann dann im Zweifel auch Exmatrikulation bedeuten. Hierzu habe ich mich ganz aktuell mit dem Regierenden Bürgermeister darauf verständigt, dass, wenn die derzeitigen rechtlichen Möglichkeiten nicht ausreichen, wir den Hochschulen zusätzliche durchgreifende Instrumente an die Hand geben. Das beinhaltet auch eine mögliche Reform des geltenden Hochschulgesetzes.
Im Grunde sind Sie also für eine Exmatrikulierung, aber es ist nur eine Frage der Umsetzung?
Es ist eine Frage der Gesetzeslage, die die Exmatrikulierung so rechtssicher machen muss, dass sie dann auch stattfinden kann. Das war das Problem an dem Ordnungsrecht, dass wir bis 2021 in Berlin hatten. Es war absolut zahnlos und wurde nicht angewendet.
Warum wurde das Ordnungsrecht von SPD, Linken und Grünen aus dem Hochschulgesetz gestrichen, statt es zu reformieren?
Damals gab es die Einschätzung, dass das Ordnungsrecht ein »stumpfes Schwert« ist, ein »totes Recht«, das aus einer Zeit kam, als Hochschulen auch noch eine andere Rolle hatten. Darum haben wir den Fokus auf das Hausrecht gelegt. Wir haben damals gesagt, das Ordnungsrecht greife nicht und deswegen könne es auch entfernt werden.
Bereuen Sie das heute?
Bereuen ist das falsche Wort. Ich war damals aus verschiedenen Gründen skeptisch, ob die Streichung richtig ist, weil es zum Beispiel auch vor dem Hintergrund sexualisierter Gewalt an den Hochschulen ein Problem ist, wenn wir nicht die Möglichkeit haben, Straftäter aus den Hochschulen zu entfernen.
Welche Maßstäbe setzen Sie an, um zu entscheiden, welches Vergehen ein Hausverbot erfordert und welches eine Exmatrikulation?
Das müssen wir mit den Hochschulen diskutieren. Wir haben sie erstmal dazu ermutigt, bei Straftaten vom Hausrecht Gebrauch zu machen, auch wenn das vielleicht vor Gericht beklagt wird. In den meisten Hochschulgesetzen sind die Schwellen für eine Exmatrikulation sehr hoch und deswegen wird sie auch in den anderen Bundesländern nicht angewendet. Es muss eine Verurteilung vorliegen und bis dahin ist es ein langer Prozess. Wir wollen, dass die Täter möglichst sofort von der Hochschule ferngehalten werden können. Deswegen haben wir immer den Fokus auf das Hausrecht gelegt.
Günter Ziegler, Präsident der Freien Universität, zweifelt selbst daran, ob er das Hausrecht durchsetzen könnte. Sein Campus sei sehr weitläufig und es gebe kein Wachpersonal. Wie wollen Sie ihm helfen?
Selbstverständlich ist die Durchsetzung auf dem Campus einer offenen Hochschule sehr schwer. Grundsätzlich müssen Ombudspersonen in den Hochschulen bei antisemitischen Übergriffen kontaktiert werden, auch wenn sie weit unterhalb einer Gewalttat liegen. Dann können wir sie verfolgen und dann kann auch das Hausrecht greifen.
Das Hausrecht ist schon das schärfste Schwert. Dennoch haben jüdische Studenten Angst, zur Uni zu gehen. Was wollen Sie noch tun?
Die gesamte Hochschulöffentlichkeit muss noch stärker für Antisemitismus sensibilisiert werden. Es gibt jetzt schon verschiedene Formate, in denen aufgeklärt wird. Zusätzlich dazu gibt es Sicherheitskonzepte, um den Schutz der Studierenden und Hochschulangehörigen zu gewährleisten. Insofern sind die Hochschulen mit einem großen Strauß an Maßnahmen ausgestattet, um einen sicheren Raum zu gewährleisten.
Trotz dieser Maßnahmen sagen jüdische Studenten, dass die Uni für sie kein sicherer Raum ist.
An den Hochschulen wurden bereits in den vergangenen Monaten Sicherheitskonzepte aktualisiert und der Dialog zu den Sicherheitsbehörden intensiviert. So müssen wir zum Beispiel beim Sicherheitspersonal darauf achten, dass es auch wirklich hinschaut und gegebenenfalls eingreift. Die Debatte um den Schutz der Kommilitonen muss hauptsächlich an der Hochschule geführt werden. Hier sind wir mit allen Hochschulleitungen im ständigen Austausch, um Bedrohungslagen schnell zu erfassen und entschieden zu handeln.
Wie wollen Sie sicherstellen, dass Lahav Shapira seinem Angreifer nicht mehr auf dem Campus begegnet?
Im ersten Schritt muss die Universität das Hausverbot gegenüber dem Täter verhängen, was nun der Fall ist. Und im nächsten Schritt müsste das Hausrecht länger als drei Monate gelten, im Zweifelsfall, bis das Strafrecht greift. Das sind genau die Dinge, die wir jetzt mit den Hochschulpräsidien diskutieren werden. Auch dies hat die Freie Universität bereits angekündigt.
Sie haben nach dem Angriff auf Shapira in der »RBB«-Abendschau gesagt: »Die Wissenschaft lebt von Austausch, lebt von Internationalität, lebt von internationalen Studierenden. Und natürlich gibt’s auch dann mal Konflikte auf dem Campus«. Der Satz wurde heftig kritisiert. Sie sagen er sei aus dem Kontext gerissen. In welchem Zusammenhang ist er denn gefallen?
Ich bedauere es ausdrücklich, dass meine Äußerungen im Zuge der Debatte den Eindruck erweckt haben, ich würde Gewalt und Antisemitismus relativieren. Das Gegenteil ist der Fall. Ich verurteile Antisemitismus auf das Schärfste. Und das überall in unserer Gesellschaft. Meine Aussage bezog sich auf den wissenschaftlichen Diskurs, der das vorrangige Mittel der Hochschulen ist, um auch politische Debatten zu führen. Das schließt natürlich Gewalttaten und andere Straftaten wie Holocaustleugnung oder auch die Leugnung des Existenzrechts Israels aus.
Die Frage wurde also nicht im Zusammenhang mit dem Angriff gestellt?
Genau, ich habe mit dem RBB ein längeres Interview geführt. Und ich habe selbstverständlich – und das möchte ich an dieser Stelle auch noch mal tun – diese Gewalttat verurteilt und sofort gefordert, dass die Freie Universität hier konsequent vom Hausrecht Gebrauch machen muss.
Nach dem Interview gab es zahlreiche Rücktrittsforderungen an Sie. Was würden Sie darauf erwidern?
Ich hätte es richtig gefunden, eine sachliche Debatte zu führen, bevor nach Rücktritt geschrien wird. Nochmal: Es ist bedauerlich, dass dieser Zusammenhang zwischen dieser Gewalttat und dieser Äußerung von mir gezogen worden ist, und es klingt, als würde ich diese antisemitische Gewalt rechtfertigen oder relativieren. Das tue ich nicht, das habe ich auch nie getan.
Mit der Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege des Landes Berlin sprach Nils Kottmann.