Reportage

»Selbst schuld, der Scheiß-Rabbiner«

Der Nahostkonflikt ist ein Motiv für Judenhass unter jungen Muslimen: Al-Quds-Tag-Demo in Berlin im August Foto: Gregor Zielke

Eigentlich wirken Levent, Murat und Ömer sympathisch. Wie andere in ihrem Alter flachsen die drei türkischstämmigen Oberschüler aus Berlin-Moabit miteinander, sprechen über Fußball und Frauen. Total normal. Bis das Gespräch auf Juden kommt.

»Die Juden sind verfluchte Hurensöhne«, sagt der 17-jährige Levent. »Selbst schuld, dass der Scheiß-Rabbiner eins auf die Fresse bekommen hat«, ergänzt Murat. »Muss er halt nicht mit seiner Kack-Judenmütze auf die Straße gehen.« Und Ömer findet: »Besser zu stark als zu schwach drauftreten.«

moabit Es ist schwül an diesem Sonntagmittag in Moabit, die drei sitzen vor Jack’s Bar in der Huttenstraße, Ecke Turmstraße und rauchen Wasserpfeife. Mitleid mit dem am Dienstag überfallenen Rabbiner Daniel Alter haben sie nicht. »Wer weint denn über die Babys, die die Juden in Palästina töten?«, fragt Murat und nimmt einen Zug aus der gläsernen Shisha. Das Wasser in der Pfeife sprudelt. Langsam atmet Murat den Rauch wieder aus und reicht das Mundstück weiter an Levent. Der aromatisierte Tabak hüllt die Jugendlichen in eine Wolke aus Apfel- und Kirschgeruch. Unaufgeregt verfolgen sie das Treiben auf der Straße.

In Moabit ist an diesem Tag Rummel. Zumeist arabische und türkische Familien flanieren auf der sonst stark befahrenen Turmstraße und holen sich und ihren Kindern an einem der vielen Stände etwas zu essen. Hier, im Westen von Moabit, das auch »libanesisches Viertel« genannt wird, sitzen viele Jugendliche wie Levent, Murat und Ömer in den Cafés und vertreiben sich die Zeit. »Abhängen« nennt Levent das.

neukölln In Neukölln sitzt Samir mit seinem Kollegen Melek vor dem Imbiss Barbar Aga in der Nähe des Hermannplatzes und isst Spaghetti. Die beiden tragen Jogginganzüge, Sportschuhe und eng anliegende Muskel-Shirts. Ihre Haut ist solariumgebräunt, die Kinnbärte zu einem dünnen Streifen rasiert. Immer, wenn ein hübsches Mädchen an ihnen vorbeigeht, sehen die beiden ihr kurz hinterher, pfeifen und lachen dann laut.

»Die Juden rauben den Palästinensern ihr Land, und keiner sagt was dagegen. Ein Rabbiner wird verprügelt, schon beklagen sich alle. Das ist nicht fair«, sagt der 22-jährige Kfz-Mechaniker Melek. Juden seien nur auf ihren Vorteil aus, im Holocaust seien allenfalls »ein oder anderthalb bis zwei Millionen Juden umgekommen«, die Schoa bis heute ein Mittel, um Gewinn daraus zu schlagen. »Die Kartoffeln trauen sich halt einfach nicht, das Maul gegen Juden aufzumachen«, ist Samir überzeugt. »Kartoffeln« heißen im Migrantenjargon die Deutschen.

friedenau Rund zehn Kilometer weiter südlich kommen zur selben Zeit etwa tausend Menschen auf dem Grazer Platz im überwiegend bürgerlichen Stadtteil Friedenau zusammen, um ihre Solidarität mit Rabbiner Daniel Alter zu bekunden. Fünf Tage ist es her, dass der 53-jährige Rabbiner von mutmaßlich arabischstämmigen Jugendlichen zusammengeschlagen wurde. Die Täter fragten Alter, ob er Jude sei, der Rabbiner trug Kippa. Als er bejahte, schlugen sie auf ihn ein. Dabei zertrümmerten sie sein Jochbein. Alters siebenjähriger Tochter drohten die Täter mit dem Tod. »Ich ficke deinen Gott«, riefen die Angreifer dem Rabbiner hinterher, als sie ihn auf dem Gehweg liegen ließen und abhauten.

»Hauen ist doof!« und »Freiheit steht und fällt mit dem Kampf gegen Antisemitismus«, steht auf Plakaten der Demonstranten am Grazer Platz. Daniel Alter ist ob dieser Solidaritätsbekundungen sichtlich gerührt, er spricht von einer »wunderbaren Welle der moralischen Unterstützung« für sich und seine Familie. Integrationssenatorin Dilek Kolat schaut Alter an und sagt: »Wir brauchen Sie! Wir brauchen Sie, damit in Berlin jüdisches Leben bleibt und wächst.«

kreuzberg Über solche Sätze lacht sich Adil kaputt. Der große, kantige 23-jährige Libanese steht mit rund einem halben Dutzend Freunden in Kreuzberg am U-Bahnhof Kottbusser Tor. Umgeben von Fixern, Obdachlosen, Gemüsehändlern, Studenten und Touristen lungern sie hier im Halbkreis, rauchen und schlagen die Zeit tot. Adil ist so etwas wie der Wortführer der Gruppe. Während er spricht, zieht sein Pitbull immerzu an der Leine. Adil, der nicht nur wie ein Kickboxer aussieht, sondern auch einer ist, hat über Juden eine klare Meinung.

»Abschaum«, sagt er bestimmt. »Ich hasse die Juden, dreckiges Pack ist das.« Ob er Juden persönlich kennt? Nein, das nicht. Aber: »Du brauchst doch nur den Fernseher einschalten, Alter. Nicht ProSieben oder so, da stecken überall Juden hinter.« Im arabischen Fernsehen habe er viele Dokumentationen über Juden gesehen. Sie beherrschen die Welt und unterdrücken die Muslime. Dann schaut Adil mich und meinen Begleiter an und fragt: »Von welcher Zeitung kommt ihr eigentlich? Seid ihr Juden oder was?« Er lacht, macht einen Witz, legt den Kopf schief und wartet unsere Antwort ab. Wir verneinen und verabschieden uns. Wir fühlen uns erleichtert. Die Erleichterung weicht schnell der Scham, aus Angst nicht die Wahrheit gesagt zu haben.

»opferneid« Unweit vom Kottbusser Tor arbeitet Anne Goldenbogen für die »Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus«. Als Abschlussarbeit an der Uni hat die Politologin eine Untersuchung antisemitischer Einstellungen unter muslimisch geprägten Jugendlichen in Berlin-Kreuzberg vorgelegt. Jetzt besucht die 34-Jährige regelmäßig Schulen und andere Einrichtungen, um über Antisemitismus aufzuklären. »Der Hass von muslimischen Migranten auf Juden hat spezifische Ursachen«, sagt Goldenbogen. »Er unterscheidet sich signifikant vom Antisemitismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft.« Dabei spiele der Nahostkonflikt eine zentrale Rolle, genährt durch zahlreiche TV-Sender aus arabischen Ländern, der Türkei und dem Iran, die den Konflikt übers Internet und Satellit in deutsche Wohnzimmer bringen.

Ein zweites Motiv sei »Opferneid«, weiß Goldenbogen zu berichten. »Viele der muslimischen Jugendlichen fragen sich: Warum bekommen die Juden so viel positive Aufmerksamkeit und wir nicht?« Das Gefühl sei vorherrschend, dass Juden eine gewisse Lobby hätten, während hingegen die Muslime – Stichwort Sarrazin-Debatte – nach wie vor abgelehnt würden. Zudem: »Nur ein Bruchteil unserer Klientel hatte jemals Kontakt zu Juden.«

umfrage Natürlich sind keineswegs alle jungen muslimischen Migranten Antisemiten. Der 14-jährige Schüler Kadir sitzt mit seiner großen Schwester Elif bei McDonald’s am Neuköllner Hermannplatz. »Das ist doch Rassismus, wenn jemand einen anderen verprügelt, nur weil er anders ist?«, fragt er Elif. Die 20-jährige Studentin der FU Berlin nickt: Gewalt gegen Andersgläubige sei haram, nach islamischem Glauben strikt verboten.

Laut einer kürzlich vom Meinungsforschungsinstitut Forsa durchgeführten Studie halten »nur« rund 18 Prozent der befragten Deutsch-Türken Juden für minderwertig. In etwa genauso stark ist der Antisemitismus in der deutschen Mehrheitsbevölkerung verbreitet. Aber: Rechnet man die Zahlen hoch, gibt es rund 500.000 antisemitisch eingestellte Deutsch-Türken. Und Urheber von verbalen und physischen Attacken sind »leider meist junge Migranten«, weiß Anneta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, zu berichten. Levent, Murat, Ömer, Samir, Melek und Adil sind keine Einzelfälle.

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