Gespräch

Seit wann sind Sie kein Antisemit mehr, Herr Aiwanger?

Hubert Aiwanger (Freie Wähler), Vize-Ministerpräsident von Bayern Foto: IMAGO/Stephan Görlich

Herr Aiwanger, Sie haben gesagt, Sie seien seit dem Erwachsenenalter kein Antisemit mehr. Seit wann genau sind Sie kein Judenhasser mehr?
Ich war nie einer! Das war missverständlich, weil ich gesagt habe, dass außer diesen fragwürdigen Vorwürfen zu meiner Jugendzeit unter anderem bezüglich Witzen vor fast 40 Jahren mir niemand anderes diesen Vorwurf gemacht hat.

Die große Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft in Bayern und Deutschland war entsetzt über Ihren Umgang mit den Vorwürfen und bezweifelt, dass Sie als stellvertretender Ministerpräsident noch tragbar sind. Der Holocaust-Überlebende Ernst Grube hat in unserer Zeitung geschrieben, er nehme Ihnen die Entschuldigung nicht ab.
Ich kann diese Reaktion sehr gut verstehen, es waren ja harte Vorwürfe. Aber ich konnte mich eben bezüglich der Urheberschaft des scheußlichen Papiers nicht entschuldigen, weil ich es nicht war. Ich habe mich aber entschuldigt, sollte ich anderweitig jemanden verletzt haben. Weitere Erwartungen, nach meiner Entschuldigung demütiger zu sein, keine Wahlveranstaltungen mehr abzuhalten wie bisher, hätten aber auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes denen in die Hände gespielt, die die Veröffentlichungen nach meiner Einschätzung absichtlich genau zu Beginn der Briefwahl platziert haben, um mir und den Freien Wählern zu schaden.

Was entgegnen Sie jüdischen Wählern in Bayern? Oder sind Ihnen deren Stimmen egal?
Klar ist: Das jüdische Leben zu schützen und zu fördern und eine starke Zusammenarbeit mit Israel ist wichtiger Teil unserer Politik, was wir auch vielfach mit unserer Landtags- und Regierungsarbeit unter Beweis gestellt haben.

An welcher Stelle genau?
Beispielsweise bei der Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Israel und verschiedenen Gesprächen von mir und jüdischen Vertretern zum Beispiel im Bereich Start-ups und Wasserstoff in meiner Zeit als Wirtschaftsminister. Zudem gab es im Mai 2022 einen Kabinettsbeschluss »Gesamtkonzept Jüdisches Leben und Bekämpfung des Antisemitismus« unter Federführung von Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler). Auch eine Bekämpfung von Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft schließt dies ein. Im November 2022 konnten wir das Schulportal »Bayern gegen Antisemitismus« als bedeutendes Handlungsfeld eröffnen. Unsere Schulen und Schulleitungen bieten Lehrern umfangreiche Unterstützung für Präventionsarbeit und Expertise für den Umgang mit antisemitischen Vorgängen an Schulen an. Wir haben die Bildungszusammenarbeit mit Israel in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt: 2022 waren es 140.000 Euro, jetzt sind es 300.000 Euro. Mir persönlich war wichtig, die Wissensvermittlung über jüdische Geschichte und jüdisches Leben, jüdische Kultur und Religion in den Lehrplänen zu stärken. Seit dem Schuljahr 2021/22 gab es eine Verdopplung des Stundendeputats für die 26 Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz. Sie sind die Experten für verhaltensorientierte Prävention und anlassbezogene Intervention bei jedweder Form von Extremismus.

Die KZ-Gedenkstätten in Bayern wollen keine Veranstaltungen mit Ihnen machen. Wie ist da Regieren und Repräsentieren möglich?
Das kann ich nachvollziehen. Die Gedenkstättenarbeit darf nicht in den Wahlkampf hineingezogen werden oder als Besuch mit politischer Absicht aufgrund der aktuellen Debatte interpretiert werden. Ansonsten hoffe ich, dass ich mit jüdischen Institutionen weitere Gespräche führen kann.

Sie haben immer nur so viel preisgegeben, wie gerade nötig war. Dann sprachen Sie von einer »Kampagne« und sahen sich als Opfer. Warum haben Sie nicht von Anfang an, bei den ersten Anfragen der Süddeutschen Zeitung (SZ) Mitte August, darauf hingewiesen, dass das Flugblatt von Ihrem Bruder stammte und nicht von Ihnen?
Ich wurde ja – was angeblich bei Verdachtsberichterstattung gar nicht erlaubt ist – immer wieder mit neuen Vorwürfen konfrontiert, die mir jeweils schleierhaft waren. Dass ich nicht Urheber war, habe ich gleich gesagt, hat aber die SZ nicht interessiert. Die SZ hat dann, als klar war, dass es mein Bruder geschrieben hatte, kommentiert, es sei eigentlich egal, wer es geschrieben hat, ich müsste trotzdem zurücktreten. Anfangs hat die SZ aber behauptet, sie hätte mehrere Personen, die meine Urheberschaft bezeugen würden. Das habe ich zurückgewiesen. Es kam dann sogar raus, dass der fragliche Lehrer wohl einen Schüler anstiften wollte, schriftlich zu bestätigen, dass ich der Urheber sei, was der aber abgelehnt hat. Währenddessen wurden alle Aussagen von Mitschülern, die die Vorwürfe gegen mich zurückgewiesen haben, medial fast völlig ignoriert.

Nicht wirklich …
Ich finde es nach wie vor inakzeptabel, wie hier vorgegangen wurde und dass ein scheußliches Schmierblatt der 80er Jahre, welches die Schule damals zunächst aus dem Verkehr gezogen hatte, dann doch fast 40 Jahre später von einer Zeitung hunderttausendfach abgedruckt wurde, um maximalen Druck auf mich auszuüben und eine Wahl zu beeinflussen. Ich wusste, dass ich nicht der Verfasser war und damit die Beweislast der SZ rechtlich nie ausreichen konnte, um es zu veröffentlichen. Dass die SZ trotzdem mit diesen unbewiesenen Anschuldigungen rausgegangen ist, hätte ich nicht gedacht. Mehrere andere Medien wie der »Spiegel« haben es bewusst nicht gemacht, obwohl auch dort versucht wurde, es zu platzieren.

Charlotte Knobloch hat vor zwei Wochen gesagt, sie habe zwar Ihren Anruf entgegengenommen, Ihre Entschuldigung aber nicht angenommen. Wie wollen Sie künftig, wie Markus Söder es Ihnen geraten hat, das Gespräch mit der jüdischen Gemeinschaft suchen, wenn diese keine Gespräche mit Ihnen führen will?
Auch diese Reaktion von Frau Knobloch, die ich sehr schätze, kann ich bestens nachvollziehen. Ich suche natürlich weiterhin das Gespräch. Tatsächlich habe ich Anfragen von zwei israelitischen Kultusgemeinden aus Bayern zum Gespräch erhalten, die ich gerne annehmen will.

Zentralratspräsident Josef Schuster hat Ihren Umgang mit der Affäre ebenfalls scharf kritisiert. Wann soll das Treffen mit ihm stattfinden, und welche Botschaft haben Sie an ihn?
Mit Herrn Schuster werde ich mich in geplanter Weise noch vor der Wahl treffen. Wenn möglich diskret, um die sensible Thematik nicht zum Spielball des Wahlkampfs in Bayern zu machen. Und auch nach der Wahl werde ich nichts unversucht lassen, zerrüttetes Vertrauen wieder aufzubauen.

An Ihrer Darstellung der Vorgänge von damals wurden vielfach Zweifel laut, an vieles andere können Sie sich nicht erinnern. Verstehen Sie nicht, dass Ihnen viele Menschen nicht trauen?
Natürlich kann ich das nachvollziehen. Die Sache liegt aber mittlerweile fast 40 Jahre zurück und liegt im ersten Drittel meines bisherigen Lebens. Ich habe seitdem ein sehr intensives arbeits- und ereignisreiches Leben gehabt, und viele Details aus der Schulzeit sind mir nicht mehr erinnerlich. Unter anderem auch Dinge, die nicht zutreffen.

Sie haben von einem einschneidenden Erlebnis gesprochen damals, aber große Erinnerungslücken. Was ist Ihnen denn im Zusammenhang mit dem Flugblatt genau in Erinnerung?
Das ist kein Widerspruch. An markante, einschneidende Erlebnisse erinnert man sich auch nach vielen Jahren, an Details eben nicht. Mir wurde damals von der Schulleitung wegen des Flugblattes in der Schultasche mit der Polizei gedroht, was das alles überlagernde, einschneidende Erlebnis in diesem Zusammenhang war. Die Vorstellung, die Polizei kommt ins Elternhaus, hat mir als 16-Jährigem Angst gemacht. Deswegen war ich froh, dass es dann schnell erledigt war. Es wurden ja nicht einmal meine Eltern hinzugezogen, und ich war auch vor keinem Disziplinarausschuss.

Haben Sie Ihrem Bruder, dem angeblichen Urheber des judenfeindlichen Pamphlets, damals keine Vorhaltungen gemacht, weil Sie an seiner statt wegen des Flugblatts bestraft wurden? Haben Sie mit ihm später darüber gesprochen, oder mit Ihren Eltern?
Mein Bruder und ich waren wegen der Drohung eines Polizeibesuchs wegen schulischer Verfehlungen tief getroffen. Mein Bruder war selbst im Nachhinein über den scheußlichen Inhalt beschämt und hat die Sache sehr bereut, und wir wollten nicht mehr darüber reden. Meine Eltern haben den Inhalt des Papiers erst jetzt in der Zeitung gelesen.

Glauben Sie nicht, dass Ihr Umgang mit dem Skandal, dass der Bruch mit der bislang geübten Erinnerungskultur und insbesondere Ihre Worte von der »Schmutzkampagne« und einer »Instrumentalisierung« der Schoa bestehende Ressentiments in der Gesellschaft und auch Antisemitismus weiter beflügeln könnte?
Nein.

Weshalb nicht?
Ich hätte weder durch ein anderes Verhalten meinerseits die Veröffentlichung durch die SZ ernsthaft verhindern können, noch die Interpretation des Sachverhalts durch die Öffentlichkeit als Kampagne. Wir müssen hier zwei Dinge voneinander trennen: zum einen das widerliche Flugblatt, das nicht in die Öffentlichkeit hätte kommen dürfen. Und zum anderen eben die Berichterstattung der SZ, die mir ohne Beweise die Urheberschaft daran andichten wollte und das widerliche Zeug ohne zwingende Not in die Öffentlichkeit brachte, entgegen journalistischer Sorgfaltspflicht. Viele Menschen sehen, dass hier pünktlich zur Briefwahl einem Spitzenkandidaten einer regierenden Partei Dinge angelastet werden sollten, um ihn maximal zu beschädigen.

Also doch alles nur eine bloße Kampagne?
Das Unverständnis bei vielen Bürgern richtet sich meiner Wahrnehmung nach stark gegen die SZ und trifft leider teilweise den Journalismus insgesamt. Auch das Vertrauen in den Schutzraum Schule wurde durch das offenbar gesetzwidrige Verhalten des Lehrers schwer erschüttert. Ein disziplinarisch sanktionierter und abgeschlossener Sachverhalt an der Schule darf nicht in dieser reißerischen Form in die Presse. Und sehr viele Bürger sehen das eben als Instrumentalisierung, das kann man nicht wegdiskutieren.

Das Problem sind die Medien, nicht das Flugblatt und Ihr Umgang damit?
Nein, aber viele Eltern fürchten jetzt, dass Verfehlungen auch ihrer Kinder an der Schule eventuell Jahre später in den Medien landen könnten. Auch das hat die SZ im Gegensatz zu vielen seriösen Medien in Kauf genommen. So etwas müssen wir künftig ausschließen. Es ist jetzt wirklich zu hoffen, dass sich diese insgesamt skurrile Geschichte bald beruhigt und wir wieder zur Sacharbeit zurückkehren.

Das Interview mit dem bayerischen Wirtschaftsminister und Bundesvorsitzenden der Freien Wähler führten Philipp Peyman Engel und Michael Thaidigsmann.

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