Geschichte

»Seit 5.45 wird zurückgeschossen«

2019 jährt sich der deutsche Überfall auf Polen und damit der Beginn des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. Foto: dpa

Die Stimmung auf den Straßen Berlins war so düster wie der wolkenverhangene Himmel. Schon früh am Morgen dieses 1. September 1939 hatte die Bevölkerung erfahren, dass die Wehrmacht den Befehl zum »Gegenangriff« auf Polen erhalten hatte.

Schon ab Frühjahr 1939 versuchte die NS-Propaganda, die antipolnischen Ressentiments in der Bevölkerung zu schüren. Im August 1939 berichteten Zeitungen und Rundfunk fast täglich über angebliche polnische Grenzverletzungen und Gewaltakte an der in Polen lebenden deutschen Minderheit.

Am 1. September vor 85 Jahren brüllte Hitler vor dem Reichstag sein heuchlerisches »Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen«. Deutsche Panzer und Soldaten in gewaltiger Menge überquerten die Grenze nach Osten. Und Hunderte von Bombern und Stukas warfen Bomben auf Polens Dörfer und Städte.

Anders als im August 1914 war in Deutschland viel Beklommenheit zu spüren. Die Zeitungen brachten zwar die ersten Siegesmeldungen, doch sie waren auch gefüllt mit Listen für bezugsscheinpflichtige Lebensmittel und Anweisungen für Fliegeralarme. William Shirer, US-Journalist in Berlin, notierte damals in sein Tagebuch, jedermann sei gegen den Krieg, die Leute sprächen es offen aus. Und er fragte sich, wie solch ein Land in einen großen Krieg ziehen könne.

Schon am Abend des 30. August 1939 wurde das Rundfunkprogramm des Senders Gleiwitz abrupt unterbrochen. Die Hörer vernahmen, dass der auf deutscher Seite knapp an der Grenze liegende Sender von polnischen Freischärlern besetzt worden sei. Am nächsten Tag war von weiteren Übergriffen - auch regulärer polnischer Soldaten - auf das Reichsgebiet die Rede.

In Wirklichkeit hatten Himmlers Sicherheitspolizei und die SS mit fingierten Überfällen den Anlass für das von Hitler seit langem geplante »Unternehmen Weiß« geliefert. Es wurde ein »Blitzkrieg«. Ende September war Polen besiegt. Am 17. September schlug auch die Rote Armee zu, und die Sowjetunion nahm sich das ihr im Hitler-Stalin-Pakt zugestandene Ostpolen.

Frankreich und England ließen Polen allein und eröffneten nicht die versprochene zweite Front. »Sterben für Danzig?« hatte man in Paris gefragt, und nicht wahrhaben wollen, dass es um mehr ging als um Polen.

Während die Sowjetunion in ihrem Herrschaftsgebiet vor allem die polnische Oberschicht, die Intelligenz und das Offizierskorps vernichtete, war die deutsche Ausrottungspolitik noch weit verheerender. Hier bot sich die Gelegenheit, die Rassenideologie in die Tat umzusetzen: Rassisch angeblich minderwertige Völker sollten deportiert, vernichtet oder auf dem Niveau primitiver Arbeitssklaven gehalten werden. Gleichzeitig sollten Teile Polens von Deutschen besiedelt und ein »neues Deutschtum im Osten« begründet werden.

Die Vernichtung der polnischen Oberschicht hinter der Front wurde Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei übertragen. Bereits am 27. September meldete Heydrich: »Von dem polnischen Führertum sind in den okkupierten Gebieten höchstens noch drei Prozent vorhanden.«

Von Anfang an machten die Einsatzgruppen auch Jagd auf die jüdische Bevölkerung. Schon Anfang 1940 wurde aus den eingedeutschten Gebieten gemeldet, sie seien »judenfrei«. In den großen Ghettos, vor allem in Warschau, Krakau, Lemberg oder Lublin, wurden die Menschen zusammengepfercht und später in die Vernichtungslager deportiert.

Es gab Soldaten, die gegen das Morden der SS und des SD aufbegehrten. Generaloberst Johannes Blaskowitz beispielsweise protestierte in Denkschriften an Hitler gegen Vergewaltigungen, Plünderungen und Erschießungen. Doch im Frühjahr 1940 wurde er an die Westfront abgeschoben. Generalstabsoffizier Helmuth Stieff formulierte im November 1939: »Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein. Diese Minderheit, die durch Morden, Plündern und Sengen den deutschen Namen besudelt, wird das Unglück des ganzen deutschen Volkes werden, wenn wir ihr nicht bald das Handwerk legen.«

Doch solche Offiziere standen auf verlorenem Posten. Das Militär gab die Verantwortung für die polnischen Gebiete noch im Herbst 1939 in die Hände einer brutalen Zivilverwaltung. Doch die Verantwortung für die Verbrechen wurde die Wehrmacht damit nicht los.

Europa

Kniefall in Warschau - Söder gedenkt Polens Kriegsopfern

In Warschau legt Markus Söder einen Opferkranz nieder und kündigt polnische Hinweisschilder für Bayerns Gedenkstätten an. Im Gespräch mit dem Regierungschef geht es um einen aktuellen Krieg

 11.12.2024

Meinung

Syrien: Warum machen wir immer wieder den gleichen Fehler?

Der Westen sollte keinem Mann vertrauen, der bislang als Terrorist gesucht wurde

von Jacques Abramowicz  11.12.2024

Meinung

Es sollte uns beschämen, dass Juden in Deutschland sich nicht mehr sicher fühlen können

Ein Gastbeitrag von Adrian Grasse

von Adrian Grasse  11.12.2024

RIAS

Experten kritisieren Normalisierung antisemitischer Narrative

Sie sind überall verfügbar, im Internet und analog: Legenden, die gegen Juden und die Demokratie gerichtet sind. Das zeigt eine neue Studie - und nimmt speziell auch den Rechtsextremismus in den Blick

 11.12.2024

Bern

Schweiz verbietet Hamas

Ein neues Gesetz verbietet die Hamas, Tarn- und Nachfolgegruppierungen sowie Organisationen und Gruppierungen, die im Auftrag der Terrorgruppe handeln. Jüdische Organisationen begrüßen den Schritt

 11.12.2024

Restitution

Familie verliert ihr in der Nazizeit gekauftes Grundstück

85 Jahre lebt eine Familie in einem Haus in Brandenburg. Zuvor hatte es zwei jüdischen Frauen gehört, die schließlich von den Nazis ermordet wurden

 11.12.2024

Debatte

Rabbiner für Liberalisierung von Abtreibungsregelungen

Das liberale Judentum blickt anders auf das ungeborene Leben als etwa die katholische Kirche: Im jüdischen Religionsgesetz gelte der Fötus bis zur Geburt nicht als eigenständige Person, erklären liberale Rabbiner

von Leticia Witte  11.12.2024

Gelsenkirchen

Bekommt Bayern-Torhüter Daniel Peretz Konkurrenz?

Münchens Sportvorstand Max Eberl macht eine klare Ansage

 11.12.2024

Meinung

Syrien und die verfrühte Freude des Westens über den Sieg der Islamisten

Ein Gastkommentar von Ingo Way

von Ingo Way  11.12.2024