Marian Turski war quasi der »Primus inter pares« unter den Schoa-Überlebenden. Am 27. Januar, zum 80. Jahrestag der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, stand der Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees zum letzten Mal am Rednerpult. »Wir sind nur noch eine Handvoll«, sagte der 98-Jährige mit leiser, aber wie immer klarer und eindringlicher Stimme. »Deshalb sollten wir unsere Gedanken auf jene übergroße Mehrheit der Millionen von Opfern richten, die uns nie erzählen konnten, was sie erlebt und gefühlt haben, weil sie von der Schoa verschlungen wurden.«
Als Mosze Turbowicz wurde Marian Turski 1926 im litauischen Druskininka geboren. 1940 wurden er und seine Familie von den deutschen Besatzern ins jüdische Ghetto der Stadt Łódz gesperrt.
Vier Jahre später wurde der damals 18-jährige Turski nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Sein Vater Eliasz und sein sechs Jahre jüngerer Bruder Wolf wurden gleich nach der Ankunft in die Gaskammer geschickt; Marian musste Zwangsarbeit verrichten. Er überlebte das Grauen, verlor aber insgesamt 39 Verwandte in der Schoa. Dennoch sagte er später einmal über die Zeit im Todeslager: »Ich war mir immer sicher, dass ich das überleben würde.«
Bis ins hohe Alter blieb Turski journalistisch tätig.
Nach einem Todesmarsch kam er ins KZ Buchenwald und später noch ins Lager Theresienstadt, wo er am 8. Mai 1945, dem letzten Kriegstag, völlig entkräftet von sowjetischen Soldaten befreit wurde.
Marian Turski ließ sich in Warschau nieder, wurde dort zunächst Chefredakteur des »Sztandar Młodych«, der Zeitung der Jugendorganisation der Polnischen Arbeiterpartei. 1958 ging er zum Nachrichtenmagazin »Polityka«, dessen leitender Redakteur er später wurde.
Bis ins hohe Alter blieb Turski journalistisch tätig. Auch in der Erinnerungsarbeit engagierte er sich. So war er Vorsitzender des Rates des Warschauer Museums der Geschichte der polnischen Juden (POLIN), einer Einrichtung, die es ohne ihn wohl nicht gegeben hätte. Auch in Deutschland engagierte sich Turski für die Aussöhnung, sprach immer wieder mit Spitzenpolitikern, aber auch mit Jugendlichen über den Stellenwert der Schoa in der Gegenwart.
Turskis dringendster Appell: »Seien Sie nicht gleichgültig! Denn wenn Sie gleichgültig werden gegenüber bestimmten Entwicklungen, bemerken Sie gar nicht, wie plötzlich etwas wie Auschwitz vom Himmel fällt auf Sie und Ihre Nachkommen.« Fünf Jahre später mahnte er, ebenfalls in Auschwitz, den Leugnern und Verharmlosern der Schoa und anderer Menschheitsverbrechen entschieden zu widersprechen. »Wir sollten uns nicht scheuen, uns den Verschwörungstheorien entgegenzustellen, die besagen, dass alles Böse dieser Welt das Ergebnis eines Komplotts ist, welches von einigen sozialen Gruppen angezettelt wurde. Juden werden oft als eine dieser Gruppen genannt.«
Seine letzte Ansprache schloss Turski mit einer Bitte: Alle Länder mögen zusammenarbeiten, um Konflikte zu lösen und »ihren Kindern ein friedliches, sicheres und geschütztes Leben zu ermöglichen«. Am 18. Februar verstummte seine Stimme für immer. Aber die Botschaft, die er der Welt mitgab, wird bleiben.