Extremismus

Sehr neue Rechte

Etwa 100 Anhänger der »Identitären« demonstrierten am 17. Juni 2016 in Berlin. Foto: imago

Es ist vollbracht: Nach vielen Monaten mit zahlreichen Aktionen haben es die »Identitären« in quasi alle großen Medien Deutschlands geschafft. Der Durchbruch gelang durch die »Besetzung« des Brandenburger Tores Ende August. »Identitäre«-Aktivisten bestiegen das Wahrzeichen und hingen Plakate mit ihren Parolen auf.

Die Aktion war absolut typisch für die Gruppierung. Seit Monaten versucht sie, durch gezielte Provokationen auf sich aufmerksam zu machen. Zuletzt tauchten Aktivisten im Maxim-Gorki-Theater auf und störten eine Veranstaltung des RBB-Senders »Radioeins« mit Jakob Augstein und Margot Käßmann. Bereits im Juni waren kleine Gruppen von »Identitären« unter dem Motto »Heimat im Blindflug« in mehreren Städten unterwegs gewesen. Auf einer Internetseite behaupteten sie, es habe in Dresden, Görlitz, Saarbrücken, Leipzig und Rostock Aktionen gegeben – darauf angeblich in Dutzenden weiteren Städten.

Aus Dresden veröffentlichten die Aktivisten ein Video, auf dem zu sehen ist, wie sie mithilfe einer Leiter einer Statue von Martin Luther die Augen verbinden und ein Schild umhängen, auf dem das Motto der Aktion steht. Dies sei ein »Ruf an alle Deutschen, gründlich darüber nachzudenken, in welcher Gefahr unser Land, unser Volk und unsere Kultur schweben«.

hipster Danach waren »Identitäre« an einer Berliner Universität unterwegs. Und in Hamburg tauchten sie am Hauptbahnhof auf und hinterließen ihre Spuren in mehreren Stadtteilen, wo sie mit Aufklebern, Graffiti und Parolen auf Gehwegen für sich warben. Die »Identitären« wollen in die Metropolen, verstehen sich offenbar als rechte Hipster.
Kleine Aktionen mit großer Wirkung – so lässt sich die Strategie umschreiben.

Die »Identitären« seien auch in Berlin und Umgebung »durch relativ kontinuierliche Aktionen im vergangenen Jahr im öffentlichen Raum deutlich präsenter geworden«, resümiert Bianca Klose von der »Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus« (MBR) die Entwicklung. »Ein stabiler Aktivistenkern von zehn bis 15 Personen versucht beständig, durch öffentlichkeitswirksame Provokationen auf sich aufmerksam zu machen«, so Klose. Eine überschaubare Zahl von Aktivisten tauche überraschend auf und verschwinde in der Regel ebenso schnell wieder. »Sie wählen für sie symbolisch aufgeladene Orte, an denen kein nennenswerter Widerstand zu erwarten ist.«

ideologie Doch wer sind diese »Identitären«? Sie sind zumeist jung, männlich, oft aus einem akademischen Milieu und lassen sich keiner festen Organisation zuordnen. Die »Identitären« agieren in einem ideologischen Dreieck zwischen AfD-Jugend, klassischem Rechtsextremismus und pro-russischen Lobbyisten.

Bei Aktionen der »Identitären« tauchen Personen auf, die beispielsweise zuvor bei der NPD-Jugendorganisation JN waren, andere lassen sich dem AfD-Umfeld zuordnen, deren rechter Flügel offen für eine Kooperation mit den »Identitären« wirbt. In Wien, wo die »Identitären« bereits seit Längerem agieren, bestehen offenkundig beste Kontakte zu pro-russischen Thinktanks, die wiederum mit Neurechten in Deutschland kooperieren.

Der Name »Identitäre« ist mit Bedacht und im Sinne einer neurechten Metapolitik gewählt. Und die Frage nach der Identität stellt sich für viele Menschen angesichts einer Welt, die sich rasant verändert, tatsächlich.

ethnopluralismus Die Neue Rechte will solche Begriffe besetzen, die »Identitären« sind dazu Mittel zum Zweck, sie propagieren den Ethnopluralismus, der darauf basiert, kulturell homogene Gemeinschaften zu definieren. Vom klassischen Rassismus will man nach außen nichts wissen. Auf feste Gruppenstrukturen verzichtet man, die »Identitären« sind eher ein loses Netzwerk, dem sich jeder anschließen kann. Eine Aktionsform, eine Idee, ein Angebot.

Doch letztendlich sind die »Identitären« eher eine Karikatur der flüchtigen Moderne, die sie zu bekämpfen vorgeben: Ihre Aktionen sind nicht nachhaltig oder konstruktiv, sondern ausschließlich darauf angelegt, kurzfristig ein mediales Echo und Aufregung zu erzeugen. Selbsternannte politische Soldaten, die sich den Gesetzen von Social Media unterwerfen. Was bleibt, sind ein paar gestellte Selfies auf Facebook.

Berlin

Touristengruppe an Bushaltestelle antisemitisch beleidigt

Der Staatsschutz ermittelt

 21.11.2024

Debatte

Darf man Israel kritisieren?

Eine Klarstellung

von Rafael Seligmann  21.11.2024

Medienberichte

Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck im Alter von 96 Jahren gestorben

In der rechtsextremen Szene wird sie bewundert

 21.11.2024

Washington D.C.

US-Senat gegen Blockade einiger Waffenlieferungen an Israel

Eine Gruppe von Demokraten scheitert mit ihrem Vorstoß

 21.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  20.11.2024

Russlands Krieg in der Ukraine

1000 Tage Krieg

Die Ukraine hat gerade ein bitteres Jubiläum begangen - 1000 Tage Krieg. Wie leben die Menschen dort, begleitet von so viel Tod und Zerstörung? Streiflichter von einem einzelnen Tag geben einen kleinen Einblick

von Illia Novikov  20.11.2024

Berlin

Prozess gegen Teilnehmer israelfeindlicher Uni-Besetzung eingestellt

Die Aktion an der Humboldt Universität bleibt auch wegen der dort verbreiteten Pro-Terror-Propaganda in Erinnerung

 20.11.2024

Meinung

Jung, jüdisch, widerständig

Seit dem 7. Oktober 2023 müssen sich junge Jüdinnen und Juden gegen eine Welle des Antisemitismus verteidigen

von Joshua Schultheis  20.11.2024

USA

Trump nominiert Juden für das Handelsministerium

Howard Lutnick ist Chef des New Yorker Finanzunternehmens Cantor Fitzgerald

von Andrej Sokolow  20.11.2024