Lieber ›Kopftuchmädel‹ als ›Bund Deutscher Mädel‹», postete Siemens-Chef Joe Kaeser auf Twitter, als Reaktion auf eine unsägliche Rede der AfD-Fraktionschefin Alice Weidel im Bundestag.
Und auch der 83-jährige Schrauben-Unternehmer Reinhold Würth erhielt laut «Heilbronner Stimme» «tosenden Beifall», als er bei einer Veranstaltung sagte: «Viele kleinkarierte Menschen würden heute sehr gerne unser Grundgesetz ändern, nach dem wir verpflichtet sind, Menschen, die in Sorge um ihr Leben sind, bei uns aufzunehmen. Lassen Sie uns dieses Recht beibehalten.» Und Würth warnte: «In manchen Zügen sehe ich eine kleine Parallele zur Weimarer Republik, als diese Rechtstendenzen wieder begonnen haben. (…) Lassen Sie uns verhindern, dass wir in eine braune Diktatur hineinlaufen.»
plattitüde Würde ein Politiker so etwas äußern, klänge es fast wie eine Plattitüde. Von deutschen Top-Managern gesagt, lassen die Worte dagegen aufhorchen, denn das hat Seltenheitswert. Während sich Gewerkschafter und Betriebsräte nicht scheuen, gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus auch öffentlich klar Position zu beziehen, halten sich die Bosse großer Unternehmen meist vornehm zurück.
«Es geht um den respektlosen Umgang mit Mitbürgern, um nationalistische Grundhaltungen und vor allem um die rassistische Ausgrenzung von Minderheiten. Und es geht darum, welches Bild Deutschland in der Welt abgibt, wenn bewertet wird, ob wir aus unserer Geschichte gelernt haben», schrieb Siemens-Chef Kaeser in einem Aufsatz. Frieden, Freiheit und Wohlstand blieben «nicht einfach so» erhalten, sondern müssten immer wieder aufs Neue erstritten werden. «Das ist die Aufgabe eines jeden», so Kaeser.
Warum sehen das deutsche Unternehmenschefs meist anders und schweigen lieber? Glauben sie, es würde dem Geschäft des eigenen Unternehmens schaden? Möchten sie sich und ihre Unternehmen nicht zur Zielscheibe wütender Angriffe machen? Oder gilt es als unschicklich in Managerkreisen, sich zu sehr politisch einzumischen?
tellerrand Das Schweigen der Bosse ist jedenfalls etwas sehr Deutsches. Wer über den Tellerrand hinausschaut, kann beobachten, wie sich beispielsweise amerikanische Wirtschaftsführer immer wieder in politische Grundsatzdebatten einmischen, zum Beispiel, wenn es um Zuwanderung und Integration geht. In Deutschland ist das nicht so. Leider.
Deutsche Manager sollten unsere Grundwerte hochhalten.
Auch Ende der 20er- und Anfang der 30er-Jahre waren sich viele Wirtschaftsführer zu fein, die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen.
Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, fanden sie sogar recht schnell Verbündete in der Industrie. Gerade einmal vier Monate nach der Machtergreifung wurde die Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft aufgelegt, die dem Führer zur persönlichen Verfügung stand. Später mussten Hunderttausende als Zwangs- und Sklavenarbeiter in deutschen Fabriken schuften – das dunkelste Kapitel der deutschen Wirtschaftsgeschichte.
Erst spät, viel zu spät, ließen deutsche Unternehmen ihre Rolle im Dritten Reich aufarbeiten und entschädigten ehemalige Zwangsarbeiter.
gemeinwesen Die zentrale Bedeutung wirtschaftlicher Akteure für das Funktionieren eines Gemeinwesens wurde in dieser Debatte offenkundig.
Heute ist Deutschland Exportweltmeister, es ist eines der weltweit angesehensten Länder. Das liegt nicht nur daran, dass man tolle Produkte herstellt. Es liegt auch daran, dass Deutschland die Lehren aus seiner Geschichte gezogen hat, dass es ein tolerantes und weltoffenes Land ist, dass es Antisemitismus und Rassismus ächtet und Minderheiten schützt.
Die Rechtspopulisten und Nationalisten aber sind eine Gefahr für dieses Deutschland, auch für den Wirtschaftsstandort, denn sie stellen offen die Grundpfeiler unserer Werteordnung infrage. Deshalb dürfen deutsche Manager sich nicht wegducken. Sie sollten vielmehr unsere Grundwerte kampfesmutig hochhalten.
afd Es geht hier nicht darum, den Aufstieg der AfD mit dem der NSDAP vor 90 Jahren gleichzusetzen oder in Panikmache zu verfallen. Wir leben in anderen, viel besseren Zeiten. Die Unternehmer und Manager von heute haben, wie auch der überwiegende Teil der deutschen Gesellschaft, die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen. Und klar ist: Man muss auch nicht über jedes Stöckchen springen, das einem die AfD hinhält.
Es reicht mit Blick auf die deutsche Geschichte aber nicht, auf die Verrohung und Radikalisierung der politischen Debatte nur mit Schulterzucken zu reagieren und die Auseinandersetzung mit der neuen Rechten der Politik und den Medien zu überlassen.
Unternehmenschefs besitzen eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Sie stehen stellvertretend für ihr Land, haben Führungsverantwortung. Dazu gehört auch, Fehlentwicklungen zu bekämpfen.
Deutschlands Top-Manager sind in der Pflicht. Sie sollten Kaeser und Würth nicht im Regen stehen lassen, sondern es ihnen ab und zu einmal nachtun.
Das wäre nicht nur dem guten Ruf deutscher Unternehmen in der Welt zuträglich. Es wäre auch Ausdruck von echtem Patriotismus.
Der Autor ist stellvertretender Geschäftsführer des Jüdischen Weltkongresses (WJC).