Alte Symbole, neue Kontexte – auf Kundgebungen der rechts-extremen Szene oder bei Zusammenkünften von Neonazis sind schwarz-weiß-rote Fahnen, die sogenannten Reichsflaggen, ein gewohnter Anblick. In den Jahren zwischen 1871 und 1918 war diese Trikolore die Nationalflagge des Deutschen Kaiserreichs und dann – parallel zur Hakenkreuzfahne – von 1933 bis 1935 die des nationalsozialistischen Deutschlands.
Des Weiteren beliebt in solchen Milieus ist die Reichskriegsflagge, zwischen 1892 und 1921 die Fahne der Streitkräfte des Deutschen Reichs: Auf weißem Hintergrund befindet sich ein schwarzes Kreuz und in der Mitte rund eingefasst ein Adler. Im oberen Rechteck sind die Farben schwarz-weiß-rot zu sehen, auf denen wiederum das Eiserne Kreuz prangt.
Pandemie Doch in jüngster Zeit sind beide immer öfter auch auf Demonstrationen zu entdecken, die sich gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie richten – wie zum Beispiel Ende August in Berlin, als man versuchte, den Reichstag zu stürmen. Dabei entstanden Bilder, die viele Beobachter schockierten. »Reichsflaggen und rechtsextreme Pöbeleien vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher Angriff auf das Herz unserer Demokratie«, brachte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das allgemeine Entsetzen darüber auf den Punkt.
Um genau diese beiden Fahnen ist nun eine Diskussion entbrannt. So möchte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die Reichskriegsflagge im Freistaat gerne verbieten. Seine Argumente: »Mit einer solchen Flagge zeigt man nämlich seine klare Ablehnung und auch Distanz zu unserer Demokratie.« Schwarz-weiß-rot ließ er außen vor. Ähnliches ist aus Hannover zu hören. »Diese Flaggen sind Symbole für rechtsextremistische Einstellungen und Ausländerfeindlichkeit«, sagt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius.
Ablehnung »Sie stehen für eine offene Ablehnung der Grundsätze, auf denen unsere Demokratie und unser gesellschaftliches Zusammenleben beruht.« Das Verwenden von Reichsfahne wie Reichskriegsflagge gilt seit dem 1. Oktober in Niedersachsen als Ordnungswidrigkeit, weshalb die Polizei nun das öffentliche Zeigen unterbinden oder Flaggen gegebenenfalls beschlagnahmen kann.
Bremen belegte beide Flaggen mit einem Bann, Zuwiderhandlungen können 1000 Euro Bußgeld kosten. Rheinland-Pfalz aktualisierte ein Verbot der Reichskriegsflagge aus dem Jahr 1998 und erweiterte dieses auf die Reichsflagge. Nordrhein-Westfalen dagegen untersagte allein die Reichskriegsflagge, das Zeigen von schwarz-weiß-rot ist dort weiterhin legal. Andere Bundesländer befinden sich dazu noch in einem Entscheidungsprozess.
Innenministerkonferenz Bundesinnenminister Horst Seehofer begrüßte die Initiativen der einzelnen Länderparlamente und plant, bei der nächsten Innenministerkonferenz im Dezember über ein einheitliches Vorgehen zu sprechen. Bestimmte Varianten der Reichskriegsflagge waren schon immer verboten, etwa die aus den Jahren nach 1935, weil darauf ein Hakenkreuz zu sehen ist. Dabei ist die vielerorts noch erlaubte Reichsfahne alles andere als unproblematisch.
»Sogenannte Reichsbürger und Co., die sich mit dem ›Dritten Reich‹ identifizieren und sein Fortbestehen reklamieren, wissen genau, dass sie die Reichsflagge aus der Zeit nach 1935, also die Hakenkreuzfahne, nicht führen können, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten«, merkt Rabbiner Andreas Nachama dazu an.
»Deshalb weichen sie auf die Fahne des Kaiserreiches aus, die aber den Vorzug für sie hat, neben der Hakenkreuzfahne auch Flagge des Dritten Reichs gewesen zu sein«, sagt der Historiker, der bis 2015 am Touro College lehrte. Er plädiert für eine entsprechende Ausweitung des Verbots auf die Trikolore sowie eine bundesweit einheitliche Regelung.
Verfassungsfeindlichkeit der Gruppen muss wasserdicht belegt sein.
Für den Historiker Michael Wolffsohn zeigt die Debatte um entsprechende Maßnahmen vor allem eines, nämlich die Hilflosigkeit der Verantwortlichen. »Das Ganze ist ein Nebenschauplatz, um von dem eigentlichen Problem in der Auseinandersetzung mit Antisemitismus abzulenken, und zwar der Unfähigkeit von Justiz und Politik, aber auch von Teilen der Medien«, meint der Historiker.
»Auf diese Weise gehen wertvolle Zeit und Ressourcen verloren, um das Übel an der Wurzel zu packen.« Deshalb ist für Wolffsohn ein Verbot der Flaggen kein geeignetes Mittel im Kampf gegen den Antisemitismus. »Deutlich sinnvoller wäre eine konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze.«
OPTION Solche Verbote müssen nicht per se etwas Schlechtes sein, meint Gideon Botsch. »Nur ist die Sache sehr kompliziert«, so der Politikwissenschaftler am Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam. »Will man verhindern, dass diese Flaggen in der Öffentlichkeit zu sehen sind, sollten erst alle Möglichkeiten geprüft werden, inwieweit die Organisationen, die sie zeigen, verboten werden können.«
Nur wenn Verfassungsfeindlichkeit von Gruppierungen wie den »Reichsbürgern« juristisch wasserdicht belegt ist, können auch ihre Symbole aus dem öffentlichen Raum verbannt werden, ohne dass die Justiz gleich mit einer Welle von Klagen überzogen wird. »Genau das ist nämlich oftmals die Strategie rechtsextremer Organisationen.« Aber es gäbe noch eine weitere Option abseits des Verbots: »Kundgebungen nur unter sehr strengen Auflagen.«