Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. Josef Schuster ist als Arzt Realist. An das Wunder eines springlebendigen, fröhlichen Judentums will der frisch gekürte Zentralratspräsident glauben, sagt er. Die Hoffnung darauf sei immer vorhanden.
Wie fragil diese Hoffnung allerdings sein kann, hat Schusters Vorgänger Dieter Graumann schmerzlich erfahren, der vor vier Jahren mit dem Anspruch, »endlich aus der Dauermeckerecke« herauszuwollen, angetreten war. Die Beschneidungsdebatte 2012 und der wütende Antisemitismus auf der Straße während des Gaza-Konflikts in diesem Jahr zwangen ihn in eine Mahnerposition, die er sich nicht ausgesucht hatte, ebenso wenig wie vor ihm Heinz Galinski, Ignatz Bubis, Paul Spiegel und Charlotte Knobloch.
sorge Auch Josef Schuster wird nicht umhinkönnen, als Präsident des politischen Dachverbands der Juden in Deutschland zu mahnen. Als langjähriger Vorsitzender der Würzburger Gemeinde und des bayerischen Landesverbandes weiß er aber auch, dass Gründe zur Sorge nicht nur von außen kommen. Die Zuwanderung Anfang der 90er-Jahre hatte frisches Blut in die jüdischen Gemeinden in Deutschland gespült.
Doch das ist inzwischen 25 Jahre her. Heute droht wieder eine Überalterung der jüdischen Gemeinschaft, wie schon vor einem Vierteljahrhundert. Junge Menschen finden selten den Weg in die Gemeinden. Kleine Gemeinden werden unter dem Mitgliederschwund leiden, möglicherweise wird es sie in zehn oder 15 Jahren nicht mehr geben. Von innergemeindlichen Verwerfungen und Machtspielen ganz zu schweigen.
Kein leichtes Erbe, das Josef Schuster antritt. Er weiß, was ihn erwartet, auch abseits des politischen Tagesgeschäfts, der Verbrüderung von Hooligans mit Nazis, dem Antisemitismus muslimischer Jugendlicher oder der als »Israelkritik« verbrämten Judenfeindschaft in der Mitte der Gesellschaft. Der neue Zentralratspräsident ist nicht zu beneiden. Doch Schuster ist Realist und darf deshalb an Wunder glauben.