Die Aufklärung gegen Antisemitismus sollte nach den Worten von Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, schon im Kindergarten beginnen. Gegen Vorurteile gegenüber Juden könne man schon sehr früh etwas unternehmen, sagte Schuster den »Lübecker Nachrichten« (Sonntag). »Aktivitäten im Vorschul- und Schulalter halte ich für ganz wichtig.«
Die Ursachen für Antisemitismus sieht Schuster nicht nur in Unwissenheit, sondern auch in einem »tradierten Antisemitismus«. Die beiden christlichen Kirchen hätten über Jahrhunderte hinweg antijüdische Vorurteile gepredigt. Auch wenn sie ihr Fehlverhalten mittlerweile deutlich gemacht hätten, sei das Bild auch nach der NS-Zeit durch die Generationen weitergegeben worden.
ERINNERUNGSKULTUR Antisemitismus werde aktuell auch dadurch verstärkt, dass die AfD die deutsche Erinnerungskultur infrage stelle oder das Holocaust-Mahnmal in Berlin verunglimpfe, sagte Schuster. Er gehe aber nicht davon aus, dass der Antisemitismus in Deutschland in den letzten Jahren gewachsen sei. Es gebe zahlreiche Untersuchungen, wonach etwa 20 Prozent der Bevölkerung antijüdische Vorurteile hätten. Diese Zahl habe sich seit Jahren nicht verändert. »Aber man traut sich heute zu sagen, was man sich lange Zeit nicht getraut hat.« Auf Worte folgten dann häufig Taten.
Schuster kritisierte, dass zu viele Gerichtsverfahren mit antisemitischem Hintergrund eingestellt würden. Er habe das Gefühl, dass bei antisemitischen Vorfällen in der Justiz »eine gewisse Sehschwäche auf dem rechten Auge herrscht«.
Unterdessen hat der Bundesverband Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) nach einem Bericht der »Welt am Sonntag« vom März 2020 bis zum März dieses Jahres 561 antisemitische Vorfälle mit Bezug zur Corona-Pandemie registriert. Fast 60 Prozent davon ereigneten sich bei Versammlungen und Demonstrationen, heißt es demnach in einer Studie der RIAS für das American Jewish Committee Berlin Ramer Institute.
ALLTAG Juden und Jüdinnen schilderten dem Bericht zufolge auch Alltagssituationen, in denen sie beispielsweise im Supermarkt von Fremden beschimpft und beschuldigt wurden, das Coronavirus in die Welt gesetzt zu haben. Juden würden verantwortlich gemacht für die Pandemie oder auch für staatliche Eindämmungsmaßnahmen gegen das Virus, heißt es demnach in der Untersuchung, die den Zeitraum vom 17. März 2020 bis 17. März 2021 betrachtete.
Daniel Poensgen von RIAS sagte der Zeitung: »Die Proteste am ersten August-Wochenende zeigen, dass es eine Kontinuität hinsichtlich antisemitischer Äußerungen bei Versammlungen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie gibt.« Man habe es hier mit einem verschwörungsideologischen und rechtsextremen Spektrum zu tun, das auch mit Ende der Pandemie nicht einfach verschwinden werde.
Am vergangenen Sonntag hatten Tausende Gegner der Corona-Schutzmaßnahmen trotz Verbots in Berlin demonstriert. epd