Beim Gedenken an den Aufstand im Warschauer Ghetto vor 80 Jahren an diesem Mittwoch erhofft sich der Zentralrat der Juden in Deutschland von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier »klare Worte«. Präsident Josef Schuster erinnerte an die Rede Steinmeiers in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem Anfang 2020, wo sich dieser klar zur deutschen Schuld am Holocaust bekannt und den Schutz jüdischen Lebens heute zugesagt hatte.
»So etwas erwarte ich von ihm jetzt wieder und damit auch, dass aus einer solchen Rede auch ein Aufrütteln der Gesellschaft hervorgeht«, sagte Schuster.
»Wir sehen leider, dass Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassissmus auch in Deutschland zunehmen. Dagegen ein klares Zeichen zu setzen, gerade auch an dieser Stelle, wäre wichtig«, betonte Schuster. »Ich erwarte mir von der Rede des Bundespräsidenten zudem, dass die Bedeutung des selbstbestimmt Jüdischen in der Geschichte und dadurch auch in der Gegenwart klarer wahrgenommen wird.«
Schuster begleitet Steinmeier in Warschau, der heute als erstes deutsches Staatsoberhaupt am Denkmal für die Helden des Ghettos sprechen wird. Dazu hatte ihn der polnische Präsident Andrzej Duda eingeladen. Auch Israels Staatspräsident Izchak Herzog wird an der Gedenkveranstaltung teilnehmen.
ZEICHEN DER Versöhnung Dass Steinmeier eingeladen wurde, dort zu sprechen, sei einerseits ein Zeichen der Versöhnung, sagte Schuster. »Es ist aber auch ein Signal, dass von deutscher Seite, und das wird ja nicht bestritten, die Schuld am damaligen Geschehen anerkannt wird.« Für das damalige Leid seien letztlich deutsche Besatzungstruppen verantwortlich gewesen. Das gemeinsame Gedenken mache auch klar, »dass in diesem eigentlich von vornherein aussichtslosen Aufstand jüdische Menschen gezeigt haben, dass sie nicht bereit sind, sich wie Lämmer auf die Schlachtbank führen zu lassen«.
»Der jüdische Widerstand im dunkelsten Moment jüdischer Geschichte wirkt trotz seiner Tragik, die auch den Warschauer Ghetto-Aufstand ausmacht, wie ein Antidepressivum in der ansonsten so bedrückenden Erinnerung an diese Zeit.«
Josef Schuster im »Tagesspiegel«
»Es ist kein leichter Weg, auf den sich der Bundespräsident macht, kam die Einladung bei der Gedenkzeremonie zu sprechen doch auch ein wenig überraschend«, schrieb Schuster in einem Beitrag für den »Tagesspiegel«. »Aber, dass er ihn beschreitet und Verantwortung übernimmt, verdient schon jetzt großen Respekt.«
»Wir befinden uns in einem erinnerungspolitischen Wandel, der erfahrungsgemäß gleichermaßen Gefahren wie Chancen in sich birgt«, so Josef Schuster. »Der Übergang in eine Zeit ohne Zeitzeugen der Schoa wird unseren Blick auf die Vergangenheit und wie wir erinnern und gedenken spürbar verschieben. Wir erleben dies an neuen Debatten über die Einzigartigkeit der Schoa, die wir vor mehr als 30 Jahren für entschieden glaubten.« Der Zentralratspräsident fügte in seinem Zeitungsbeitrag hinzu, einige postkoloniale Theorien würden mit grober Radikalität benutzt, »um den Schutzwall gegen jede Form von Antisemitismus, ein konstitutives Element dieses Landes, einzureißen.« Das seien »offene Flanken unserer freien Gesellschaft«, die geschlossen werden müssten.
Katastrophale Situation Das Warschauer Ghetto war im Herbst 1940 von den deutschen Besatzern errichtet worden. Auf einer Fläche von nur etwas mehr als drei Quadratkilometern wurden rund 450.000 Menschen eingeschlossen - die jüdische Bevölkerung Warschaus sowie Juden aus anderen Teilen Polens und aus Deutschland. Die Bewohner wurden zur Zwangsarbeit gezwungen. Die Lebensmittelversorgung und die hygienische Situation waren katastrophal. Hunger und Epidemien breiteten sich aus. Dazu kam der tägliche Terror der SS.
1942 begannen die Nationalsozialisten mit der Deportation der Juden in Vernichtungs- und Arbeitslager. Zwischen Juli und September wurden 250.000 bis 280.000 Menschen aus dem Ghetto verschleppt oder ermordet. Als dort am 19. April 1943 SS-Einheiten einmarschierten, begann der Aufstand des nur schwach bewaffneten und militärisch völlig unterlegenen jüdischen Widerstandes. Die Kämpfe dauerten bis Mitte Mai. Dabei wurden mehr als 56.000 Juden getötet oder in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert.
»Der jüdische Widerstand im dunkelsten Moment jüdischer Geschichte wirkt trotz seiner Tragik, die auch den Warschauer Ghetto-Aufstand ausmacht, wie ein Antidepressivum in der ansonsten so bedrückenden Erinnerung an diese Zeit«, schrieb Schuster im »Tagesspiegel«. »Die Erinnerung an ihn sollte nicht in der Vergangenheit verharren, sondern ein Zeichen des Aufbruchs sein, der mir gegenwärtig so wichtig wie kaum zuvor erscheint.« dpa/ja