Wegen juristischer Bedenken hat Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) die Antisemitismus-Klausel bei Fördermitteln gekippt. Sie könnte »in dieser Form nicht rechtssicher« sein, fürchtet die Kulturverwaltung. Welche Bedenken es gibt, erläuterte Chialos Behörde aber nicht.
Der Kultursenator betonte stattdessen: »Ich werde mich weiter für die diskriminierungsfreie Entwicklung der Berliner Kultur einsetzen. Ich muss aber die juristischen und kritischen Stimmen ernst nehmen, die in der eingeführten Klausel eine Beschränkung der Kunstfreiheit sahen.« Die Debatten brauche man jetzt mehr denn je.
Zentralratspräsident Josef Schuster hofft, dass noch eine juristische Lösung gefunden wird: »Ich bin Joe Chialo für seinen Vorstoß dankbar, auch wenn die Anwendung der Klausel nun vorerst ausgesetzt wird. Es bleibt zu hoffen, dass eine juristisch fundierte Lösung schnellstmöglich erarbeitet und umgesetzt wird. Der Kern der Klausel bleibt wichtig: die Verhinderung der staatlichen Förderung von menschenfeindlichen oder diskriminierenden Inhalten.«
Das Tikvah Institut hatte schon im vergangenen Jahr den Vorschlag gemacht, statt einer Klausel in der Kulturbehörde eine allgemeine Regelung gegen Antisemitismus in die Landeshaushaltsordnung aufzunehmen. Sie wäre dann auch für andere Senatsbehörden bindend. »Das Einlenken von Kultursenator Chialo bei seiner Anti-Antisemitismusklausel sollte für eine verfassungsfeste Lösung genutzt werden«, sagte Tikvah-Präsident Volker Beck.
Kurz nachdem Chialo die Antisemitismus-Klausel Anfang Januar vorgestellt hatte, warfen im mehr als 3000 Künstler in einem offenen Brief vor, dass der Kultursenator die Kunstfreiheit einzuschränken drohte. Die Unterzeichner des offenen Briefes warfen Chialo vor, dass die Klausel angeblich zur «aggressiven und oft unsachlichen öffentlichen Debatte und zur Vertiefung gesellschaftlicher Spaltung» beitrage.
Sie fordern, statt der IHRA-Definition die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus als Grundlage zu nehmen. Doch die spart antisemitische Kritik am Staat Israel größtenteils aus. So gilt für die Akademiker hinter der Erklärung die im Zielen und Handlungen antisemitische Boykott-Bewegung BDS explizit nicht als antisemitisch.
»Entlarvende« Debatte
Josef Schuster kann die Kritik der Künstler nicht nachvollziehen: »Eigentlich hat der Berliner Kultursenator Joe Chialo etwas getan, was selbstverständlich erscheint: Wer menschenverachtende Positionen unterstützt, darf kein Recht auf staatliche Förderung haben. Ich habe ein gewisses Unverständnis für den breiten Protest gegen die Einführung der Antidiskriminierungsklausel, sobald es dabei auch um eine klare Definition von Antisemitismus geht. Das hat wiederholt die Probleme des Kunst- und Kulturbereichs aufgedeckt.«
Remko Leemhuis, Direktor des American Jewish Committee Berlin, findet die Diskussion entlarvend: »Nicht erst seit der documenta fifteen in Kassel ist deutlich, dass es ein systemisches Problem mit Israelhass und Antisemitismus in der Kunst- und Kulturszene gibt. Deshalb war der Ansatz der Berliner Landesregierung, sich diesem Problem anzunehmen, ein richtiger Schritt«, sagt er auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen.
»Denn bei aller berechtigten Diskussion ist es entlarvend, dass die Kulturszene ihre Kunstfreiheit gerade beim Thema Antisemitismus gefährdet sieht. Kaum denkbar wäre eine solche Empörung bei einer ähnlichen Klausel gegen Rassismus. Sollte es nicht gerade die Aufgabe einer jeden Demokratie sein, Kunst und Kultur, die menschenverachtend in welcher Form auch immer ist, von staatlicher Förderung auszuschließen?«
Lob von der Linken für Chialo
Die kulturpolitische Sprecherin der Berliner Linken-Fraktion, Manuela Schmidt, lobte Kultursenator Chialo hingegen für die Entscheidung: »Der Senator nimmt damit die ausgestreckte Hand der Künstlerinnen und Künstler, deren Bedenken und Verunsicherung ernst. Dafür gebührt ihm Respekt«, teilte Schmidt am Montag mit.
Chialo habe nun einen Weg für eine wichtige Diskussion darüber eröffnet, wie »die Gesellschaft und ihre Kulturschaffenden gemeinsam gegen Antisemitismus, Rassismus und jegliche Form der Diskriminierung aufstehen und handeln können.«
Die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) Berlin und Brandenburg sieht das anders - und bedauerte den Schritt. »Angesichts des seit dem 7. Oktober zu Tage getretenen Antisemitismus auch in Teilen der Kulturszene wäre diese Klausel eine Chance gewesen, seitens des Senats ein deutliches Stoppsignal zu setzen«, sagte der Vorsitzende Jochen Feilcke laut einer Mitteilung.
»Chialo hätte es auf juristische Auseinandersetzungen ankommen lassen können.« Antisemitismus sei keine Meinung und könne sich auch nicht auf die Kunstfreiheit berufen.
Scharfe Kritik in »Bild«-Kommentar
In »Bild« schrieb Vize-Chefredakteur Paul Ronzheimer einen Kommentar, in dem er den Berliner Senat scharf kritisierte. »Ausgerechnet diese CDU ist nun eingeknickt vor der Anti-Israel-Lobby!«, heißt es darin. »Die Berliner CDU-Regierenden sind nichts anderes als Umfaller, wollen genauso wie viele andere Hauptstadt-Politiker bei den feinen Vernissagen und glamourösen Partys auch weiterhin gern gesehen sein – und nicht kritisiert werden.«
Schleswig-Holstein hat seit Monaten Antisemitismus-Klausel
Chialo wollte mit der Klausel nach eigenen Worten bewirken, dass mit öffentlichen Mitteln nicht rassistische, antisemitische, queerfeindliche oder anderweitig ausgrenzende Ausdrucksweisen gefördert werden. Laut Angaben der Kulturverwaltung von Montag war die Klausel schon vor rund einem Monat eingeführt worden. Sie arbeite nun an Austauschformaten, um den Diskurs mit den Institutionen und Kulturschaffenden in den kommenden Monaten zu verstärken.
Schleswig-Holstein hat bereits seit dem Sommer eine Antisemitismusklausel im Kulturbereich, die weiterhin gilt. dpa/ja