»Wir müssen davon ausgehen, dass heute früh möglicherweise ein Anschlag auf das israelische Generalkonsulat geplant war«, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Nachmittag auf der Pressekonferenz zum Großeinsatz der Münchner Polizei am Donnerstagmorgen.
Vor dem NS-Dokumentationszentrum und dem nahegelegenen israelischen Generalkonsulat waren Schüsse abgegeben worden. Israels Vertretung war wegen einer Gedenkfeier zum Zeitpunkt des Vorfalls geschlossen.
Der Angreifer lieferte sich einen Schusswechsel mit der Polizei, wurde angeschossen und erlag später seinen Verletzungen. Die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München hat die Ermittlungen übernommen. In einer Pressemitteilung heißt es, man gehe aktuell »von einem terroristischen Anschlag auch mit Bezug zum Generalkonsulat des Staates Israel« aus. Ein Schwerpunkt der laufenden Ermittlungen liege in der Tatmotivation des Tatverdächtigen.
Die Ermittlungsbehörden bestätigten am Nachmittag bei der Pressekonferenz Medienberichte, wonach es sich bei dem Mann um den 18-jährigen Emrah I. handele, der in Österreich geboren und aufgewachsen sei. Polizeilich gemeldet war er in Neumarkt am Wallersee, nordöstlich von Salzburg. I. hatte bosnische Wurzeln. Zudem bestanden bei ihm offenbar auch Verbindungen zur islamistischen Szene in Österreich.
Laut einer NDR/WDR-Recherche soll er schon in der Schulzeit als strenggläubiger Muslim in Erscheinung getreten und mehrfach mit anderen Schülern in Streit geraten sein. Der österreichische Verfassungsschutz in Salzburg habe bereits eine Hausdurchsuchung bei ihm durchgeführt. I. habe mit der syrischen Terrorgruppe Jabhat al-Nusra sympathisiert. Den deutschen Sicherheitsbehörden sei er allerdings bis dato nicht bekannt gewesen, so der Bericht.
Informationen der »Jüdischen Allgemeinen« zufolge war Emrah I. bislang auch nicht wegen anderer Straftaten aufgefallen. »Bild« berichtete, dass österreichische Behörden zwar islamistische Propaganda auf seinem Handy gefunden hatten, ein Verfahren gegen ihn aber wieder eingestellt worden sei.
Am Nachmittag durchsuchten Polizisten das Haus der Eltern von I. in Neumarkt.
Attentäter kaufte Weltkriegswaffe einen Tag vor Anschlag
Wie »Bild« berichtet, habe Emrah I. das Karabinergewehr erst am Mittwoch gekauft. Der mögliche Verkäufer habe sich am Donnerstag bei der Polizei gemeldet, weil er die Waffe auf Augenzeugenvideos wiedererkannt habe.
Bei dem Karabiner habe es sich um eine sogenannte »Kategorie C-Waffe« gehandelt, die in Österreich frei bei Waffenhändlern gekauft werden kann. Emrah I. konnte das Gewehr kaufen, obwohl erst 2023 ein Waffenverbot gegen den Schüler verhängt worden war, weil in Ermittlung zu einer Körperverletzung herauskam, dass der damals 16-Jährige mit dem Islamischen Staat sympathisiert hatte. Denn: Der Kauf muss erst innerhalb von sechs Wochen registriert werden.
Längerer Schusswechsel mit der Polizei
Auf der Plattform X forderte die Polizei kurz nach 9.30 Uhr die Bevölkerung auf, den Bereich Brienner Straße/Karolinenplatz weiträumig zu meiden. Man versuche, sich einen Überblick per Hubschrauber zu verschaffen. Zuvor hatte laut »Süddeutsche Zeitung« ein Anwohner von Schüssen berichtet. Der Journalist Ronen Steinke veröffentlichte ein Video des Schusswechsels auf der Plattform X.
Die Polizei teilte kurze Zeit später mit, eine verdächtige Person sei angeschossen worden. Es gebe keine Hinweise auf weitere Angreifer. Die Behörden baten Zeugen, die Fotos, Videos oder Tonaufnahmen vom Ereignisort hätten, diese der Polizei möglichst umgehend über ein Upload-Formular zur Verfügung zu stellen. Bürger können sich mit Fragen und Hinweisen auch telefonisch an die Polizei wenden unter der Nummer 089/2910-1910.
Ein Polizeisprecher sagte der »Süddeutschen Zeitung«, Polizisten hätten gegen 9 Uhr bemerkt, wie ein Mann eine Repetierwaffe älterer Bauart mit einem Bajonett getragen habe. Auf Videos, die in mehreren Online-Portalen veröffentlicht wurden, ist zu sehen, wie der Täter vor der Polizei hinter ein Haus flüchtet. Der Mann habe das Feuer auf die Polizisten eröffnet und mehrere Schüsse auf sie abgegeben, so der Sprecher. Er habe aber »sehr schnell gestoppt« werden können.
Laut einem Augenzeugen hätten die Beamten 30 bis 40 Mal auf ihn geschossen. Das berichtete die »Bild«-Zeitung. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann teilte noch am Vormittag mit, der Mann sei seinen Schussverletzungen erlegen. Die fünf beteiligten Polizisten blieben unverletzt.
Wie unter anderem die »Süddeutsche Zeitung« berichtete, war der Schütze offensichtlich auf dem Weg zum Gebäude des israelischen Generalkonsulats und habe dort versucht, mit seinem Gewehr das Fenster eines Anbaus einzuschlagen, wohl um in das Gebäude einzudringen. Nachdem er scheiterte sei er in Richtung Haupteingang weitergegangen. Innenminister Herrmann schloss einen Anschlagsplan auf das Generalkonsulat nicht aus. Man müsse jedoch noch die Hintergründe aufklären.
Kurzzeitiger Lockdown
Benedikt Franke, CEO der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), deren Büros sich in einem angrenzenden Gebäude befinden, sagte der »Bild«-Zeitung: »Um genau 9.10 Uhr knallte es plötzlich laut. Mindestens ein Dutzend Schüsse waren zu hören.«
Das MSC-Büro wie auch jüdische Einrichtungen in der Stadt gingen nach Informationen dieser Zeitung zeitweise in einen Lockdown. Dieser wurde aber kurze Zeit später wieder aufgehoben. Die Europäische Rabbinerkonferenz (CER), die seit einem Jahr in München ihren Sitz hat, teilte mit, ihre Mitarbeiter seien sicher. Ein CER-Sprecher sagte, der Vorfall zeige, dass man sich auf die Münchner Polizei immer verlassen könne und diese jüdische und israelische Stätten sehr professionell schütze.
In Jerusalem bestätigte das israelische Außenministerium den Schusswechsel in der Nähe des Generalkonsulats. Diplomaten oder sonstige Mitarbeiter des Konsulats seien nicht zu Schaden gekommen. Talya Lador-Fresher, Israels Generalkonsulin in München, zeigte sich in einer ersten Stellungnahme dankbar gegenüber den Einsatzkräften. »Dieses Ereignis zeigt, wie gefährlich der Anstieg des Antisemitismus ist. Es ist wichtig, dass die breite Öffentlichkeit ihre Stimme dagegen erhebt.«
Am Freitagmorgen sagte sie: »Seit dem 7. Oktober des vergangenen Jahres, seit dem Angriff der Hamas auf Israel, läuft eine Welle des Antisemitismus durch ganz Europa. Sie steigt und steigt – auch hier in München.«
»Wir möchten weitermachen wie bisher. Wir sind ein lebendiges Generalkonsulat und werden es auch bleiben, zum Beispiel mit vielen Veranstaltungen und Diskussionen«, so Israels Generalkonsulin.
An diesem Donnerstag jährt sich zum 52. Mal der Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft in München am 5. September 1972. Elf Athleten und Betreuer wurden damals von palästinensischen Terroristen als Geiseln genommen und einen Tag später ermordet.
»München hat heute den Atem angehalten«
Die für diesen Donnerstag angesetzte Radfahrt von München nach Fürstenfeldbruck zum Gedenken an das Olympia-Attentat hat wie geplant stattgefunden. Eine vom israelischen Generalkonsulat geplante Gedenkveranstaltung wurde abgesagt.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser stufte die Schüsse in München als »schwerwiegenden Vorfall« ein. Der Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen habe »oberste Priorität«, so Faeser. Es sei bitter, dass sich der Vorfall ausgerechnet am Jahrestag des Attentats bei den Olympischen Spielen ereignet habe.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte, ein Zusammenhang mit dem 5. September 1972 sei möglicherweise gegeben. »München hat heute kurz den Atem angehalten«, sagte der CSU-Chef und machte klar: »Wir geben erneut ein Schutzversprechen ab für jüdische Bürger, für jüdische Einrichtungen, für Einrichtungen von Israel, dass wir mit großer Entschlossenheit jeden Angriff bekämpfen, stellen und dann auch ausschalten werden.«
Die Beauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für jüdisches Leben in Deutschland und für die Beziehungen zum Staat Israel und Rosenheimer Abgeordnete Daniela Ludwig schrieb auf X: »So sehr ich dankbar bin, dass wir jüdische Einrichtungen so stark schützen, so wütend und traurig macht es mich, dass es überhaupt nötig ist. Niemand sollte mehr zweifeln, dass unser aller Sicherheit in Gefahr ist.«
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, erklärte: »Das, was wir wissen, lässt uns den Atem stocken. Es hätte heute in München eine Katastrophe geben können. Ich danke der Polizei für das schnelle Eingreifen.«
Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, verkündete: »Die Ereignisse in München zeigen: Islamisten bedrohen uns alle. Sie interpretieren falsch verstandene Toleranz als Schwäche. Wir müssen jetzt alles tun, um den Islamismus wirksam zu bekämpfen.« Die Hassprediger im Hintergrund müssten spüren, »dass wir sie sehen. Wer 18-Jährige zum Terrorismus anstiftet, darf nicht ungestraft davonkommen.«
Auch Israels Staatspräsident Isaac Herzog meldete sich zu Wort. Er danke den deutschen Behörden für ihr schnelles Eingreifen, schrieb er auf X und sprach von einem »Terroranschlag«. Zuvor hatte Herzog mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier telefoniert. »Gemeinsam sind wir stark im Angesicht des Terrors«, so Herzog.