Der letzte Satz des am Abend veröffentlichten Communiqués war vielleicht der wichtigste – für Josep Borrell zumindest. Dort heißt es: »Der Hohe Vertreter/Vizepräsident hat die Einladung von Minister Cohen zu einem Besuch in Israel angenommen.« Besagter Minister war nämlich am Dienstag in Brüssel eingetroffen und hatte insgesamt zweieinhalb Stunden in Gesprächen mit dem EU-Außenbeauftragten und dessen Diplomaten verbracht. Teilnehmerkreisen zufolge sprachen Borrell und Cohen sogar eine Stunde lang unter vier Augen.
Grund dafür gab es reichlich. Noch vor einigen Wochen hatte Cohen den Spanier noch ziemlich undiplomatisch abblitzen lassen. Grund war ein Meinungsbeitrag Borrells in internationalen Zeitungen gewesen, mit dem er in Israel großen Unmut ausgelöst hatte. Schnell machten Medienberichte die Runde, der Chefdiplomat der Europäischen Union sei momentan in Israel nicht erwünscht, weil er häufig – im Gegensatz zu anderen Spitzenpolitikern in Brüssel wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder Parlamentspräsidentin Roberta Metsola - eher israelkritische Positionen vertrete.
ASSOZIIERUNGSRAT Das Gezänk vom März scheint nun Schnee von gestern zu sein - vorerst zumindest, denn der Blick ist aktuell nach vorn gerichtet. Beide Seiten hätten das »Kriegsbeil begraben«, titelten sowohl die »Times of Israel« als auch die Korrespondentin der »Jerusalem Post« fast schon überschwänglich. Noch wichtiger als die atmosphärischen Verbesserungen dürfte aber sein, dass Borrell schon bald in Israel empfangen werden wird. Es wäre sein erster Besuch dort als EU-Außenbeauftragter – ein Amt, das der 76-Jährige immerhin schon seit 2019 bekleidet.
In seiner Pressemitteilung nach dem Treffen mit Cohen lobte Borrell die Beziehungen zwischen der EU und Israel fast schon in den höchsten Tönen. Sie seien »sehr eng«, und man hege die Hoffnung, sie noch weiter zu vertiefen. Auch eine erneute Sitzung des Assoziierungsrates solle noch in diesem Jahr stattfinden – in Jerusalem. Im Oktober, damals noch unter der Ägide der Regierung von Yair Lapid, hatte dieses bilaterale Gremium erstmals seit 2013 wieder getagt. Eigentlich soll es einmal pro Jahr zusammentreten, um die Zusammenarbeit zwischen Brüssel und Jerusalem zu managen. Doch innerhalb der EU wollte man mit der Nichteinberufung auch ein Zeichen setzen gegen die Expansion der israelischen Siedlungen.
Jetzt sind sich beide Seite plötzlich wieder einig: Die Abhaltung des Assoziationsrates als höchste institutionelle Ebene des bilateralen Dialogs sei nicht nur wichtig, um die Beziehungen zwischen der EU und Israel weiter zu stärken, sondern auch wegen der Bedeutung der Zusammenarbeit bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine oder das Agieren des Iran, heißt es in dem Communiqué.
FRIEDENSPROZESS Weiter hieß es dort, Borrell habe die jüngsten Terror- und Raketenangriffe auf Israelis verurteilt und das Engagement der EU für das Recht Israels, sich zu verteidigen, unterstrichen. Allerdings müsse die Reaktion des Angegriffenen verhältnismäßig sein und im Einklang mit dem Völkerrecht stehen. Borrell zeigte sich gleichzeitig besorgt über die aktuelle Lage in den Palästinensergebieten und forderte Israel im Namen der EU auf, »einseitige Maßnahmen zu unterlassen, die das bereits hohe Maß an Spannungen noch verstärken und die Möglichkeit eines künftigen gerechten und dauerhaften Friedens auf der Grundlage der Zweistaatenlösung gefährden könnten«. Auch betonte er, wie wichtig es sei, »den Status quo der Heiligen Stätten zu respektieren«.
Laut Borrell bemüht sich die EU um einen offenen und konstruktiven Austausch mit Israel über den Nahost-Friedensprozess. Er habe Cohen an die europäische Bereitschaft erinnert, zu einem Friedensprozess beizutragen, erklärte der Außenbeauftragte im Anschluss an das Treffen. Ob er mit seinem erneuten Vorschlag, ausgerechnet mit Saudi-Arabien und der Arabischen Liga den momentan zum Erliegen gekommenen israelisch-palästinensischen Friedensprozess wieder neues Leben einzuhauchen, bei der israelischen Seite durchdringen wird, erscheint aber eher fraglich.
INITIATIVEN Auch die Abraham-Abkommen, bei denen die EU bislang eher am Spielfeldrand stand, will Josep Borrell unterstützen. Er bleibt allerdings noch recht vage. Man sei »bereit, weitere Initiativen zu prüfen«, hoffe aber darauf, dass dieser Prozess Vorteile auch für die Palästinenser bringen werde, denn ohne diese bleibe »die positive Dynamik der Normalisierung unvollständig«.
Ganz einig waren sich Borrell und Cohen dann doch nicht. Der Likud-Politiker, erst seit Anfang des Jahres im Amt, sprach zwar von einem »neuen Kapitel« in den Beziehungen seines Landes mit der EU. Er forderte Borrell aber auch auf mitzuwirken, dass die großteils von der EU finanzierte Palästinensische Autonomiebehörde künftig keine sogenannten Märtyrerrenten mehr an die Familien von Terroristen auszahlt. Auch im Hinblick auf den Iran müsse die EU eine härtere Gangart einschlagen, so Cohen in Brüssel.
Auch in seinem Gespräch mit Parlamentspräsidentin Roberta Metsola ging es um dieses Thema. Man habe auch über die mögliche Listung der Islamischen Revolutionsgarde als terroristische Organisation gesprochen, sagte Cohen im Anschluss. Im Januar hatte das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten der EU mit großer Mehrheit aufgefordert, diesen Schritt zu gehen.