Am 85. Jahrestag der Pogromnacht der Nationalsozialisten hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Menschen in Deutschland dazu aufgerufen, sich aktiv gegen die Ausgrenzung von Juden zu stellen. Ausgrenzung treffe Jüdinnen und Juden seit Jahrhunderten besonders und trotz des Zivilisationsbruchs des Holocausts auch heute noch, sagte Scholz am Donnerstag bei einer Gedenkfeier des Zentralrats der Juden in der Berliner Synagoge Beth Zion. »Das ist eine Schande. Mich empört und beschämt das zutiefst.«
Der Kanzler erinnerte an einen versuchten Brandanschlag auf die Synagoge wenige Tage nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. Zwei Unbekannte hatten Mitte Oktober Brandsätze in Richtung des Gebäudes geworfen. Wenn so etwas heute in Deutschland geschehe, »dann gerät in der Tat etwas aus den Fugen«, sagte Scholz.
Es komme nicht darauf an, ob Antisemitismus politisch oder religiös motiviert sei, ob er von links oder rechts komme, ob er hier gewachsen sei oder von außen ins Land getragen werde. »Jede Form von Antisemitismus vergiftet unsere Gesellschaft. So wie jetzt islamistische Demonstrationen und Kundgebungen. Wir dulden Antisemitismus nicht. Nirgendwo.«
Staatsaufgabe und Bürgerpflicht
Migranten, die sich antisemitisch verhalten, drohte Scholz mit Ausweisung. Es komme darauf an, konsequent zu sein, sagte er. »Und deshalb muss auch jeder wissen: Antisemitismus, wer das macht, riskiert auch aufenthaltsrechtlichen Status.«
Der Kanzler betonte wie zuvor schon Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dass der Schutz von jüdischen Einrichtungen Staatsaufgabe und Bürgerpflicht zugleich sei. Das alleine reiche aber nicht aus. »Wenn Jüdinnen und Juden in Deutschland hinter immer größeren Schutzschildern leben müssen, dann ist das unerträglich«, sagte er.
Damit nahm er Bezug auf seinen Vorredner Josef Schuster, den Präsidenten des Zentralrats der Juden, der genau das beklagt hatte. Scholz versprach erneut, dass Polizei und Justiz konsequent gegen jede Form des Antisemitismus vorgehen würden.
Stärkung des Gemeinwesens
Er versicherte Israel erneut die Solidarität Deutschlands im Kampf gegen den Terror der islamistischen Hamas. »Deutschlands Platz ist an der Seite Israels. Israel hat das Recht sich gegen den barbarischen Terror der Hamas zur Wehr zu setzen.« Der Kanzler dankte allen, die bei Kundgebungen, Mahnwachen oder in sozialen Netzwerken Solidarität mit den Opfern des Hamas-Terrors gezeigt haben. »Das gibt Zuversicht und stärkt unser Gemeinwesen.«
Wegen der stark gestiegenen Zahl von antisemitischen Vorfällen in Deutschland seit dem Terrorangriff der Hamas in Israel kommt dem Jahrestag in diesem Jahr besondere Bedeutung zu. Viele Jüdinnen und Juden berichten vom Gefühl der Bedrängnis und von Ängsten, ihren Glauben in Deutschland offen zu zeigen. Schutzvorkehrungen wurden nochmals verstärkt.
Auch die Gedenkveranstaltungen in der Synagoge im Zentrum Berlins fand unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. Am Ort der Gedenkfeier waren am Donnerstag Straßen abgesperrt, die Polizei war mit Scharfschützen und gepanzerten Wagen an der Synagoge.
1938 hatten die Nationalsozialisten in der Nacht vom 9. auf den 10. November landesweit eine Gewaltwelle gegen Juden begonnen. In der Folge wurden nach Angaben des Deutschen Historischen Museums mehr als 1300 Menschen getötet, 1400 Synagogen zerstört und beschädigt, 7000 Geschäfte überfallen und 30.000 Juden in Konzentrationslager verschleppt. Es war der Beginn der systematischen Vernichtung der Juden in Deutschland und Europa durch die Nationalsozialisten. dpa