Debatte

Schmutzkampagne oder Dreck?

Entscheidung vertagt: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (r.) und sein Vize Hubert Aiwanger Foto: picture alliance / Panama Pictures

Es war ein böser Verdacht, den die »Süddeutsche Zeitung« (SZ) in ihrer Wochenendausgabe äußerte: Hatte Hubert Aiwanger, der Bundesvorsitzende der Freien Wähler (FW), bayerischer Wirtschaftsminister und Stellvertreter von Markus Söder (CSU) im Amt des Ministerpräsidenten, als Jugendlicher ein den Holocaust verharmlosendes Flugblatt verfasst und verbreitet?

In dem Pamphlet, das offenbar 1988 an Aiwangers Schule, dem Burkhart-Gymnasium im niederbayerischen Mallersdorf-Pfaffenberg, zirkulierte, wird in kruder Weise ein Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten persifliert, an dem die Gymnasiasten zuvor erfolgreich teilgenommen hatten.

»auschwitz-pamphlet« Mögliche Bewerber, so heißt es in dem »Auschwitz-Pamphlet«, mögen sich doch »im Konzentrationslager Dachau zu einem Vorstellungsgespräch« melden. Als Preise gebe es unter anderem einen »Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz«, einen »kostenlosen Genickschuss« oder eine »Kopfamputation durch Fallbeil« zu gewinnen.

Erste Anfragen der SZ zu seiner mutmaßlichen Urheberschaft wollte Aiwanger nicht beantworten, sprach aber von einer »Schmutzkampagne« gegen ihn. Doch als vom großen Koalitionspartner und von Söder Kritik an ihm und die Forderung nach rascher Aufklärung der Vorwürfe laut wurden, gab der 51-Jährige eine kurze schriftliche Erklärung ab: »Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend. Der Verfasser des Papiers ist mir bekannt, er wird sich selbst erklären.«

Kurz darauf meldete sich dann zur Überraschung vieler Helmut Aiwanger, seines Zeichens Waffenhändler aus Rottenburg an der Laaber, zu Wort. Hubert Aiwangers großer Bruder erklärte, er habe das fragliche Dokument im Schuljahr 1987/88 verfasst. Das sei aus Frust darüber, sitzen geblieben zu sein, passiert.

bruder Tage später schob Helmut Aiwanger nach, die Tatsache, dass Flugblätter auch in Huberts Schulranzen gefunden worden seien, könne damit erklärt werden, dass sein Bruder sie habe einsammeln wollen, um ihn vor Unannehmlichkeiten zu schützen.

Es war nämlich Hubert Aiwanger, den der Schulleiter einbestellte. Seiner Erklärung zufolge sei ihm sogar mit Einschaltung der Polizei gedroht worden, wenn er den Sachverhalt nicht aufkläre, erinnerte sich der FW-Chef. Als Ausweg sei ihm angeboten worden, »ein Referat zu halten«, was er dann auch gemacht habe. »Damit war die Sache für die Schule erledigt. Ob ich eine Erklärung abgegeben oder einzelne Exemplare weitergegeben habe, ist mir heute nicht mehr erinnerlich«, teilte Aiwanger mit.

Wenn er geglaubt hatte, die Sache wäre mit dem Statement erledigt, sah er sich getäuscht. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, erklärte, der Inhalt des Pamphlets sei auch heute noch »nicht minder verwerflich, da er die Millionen Opfer der Schoa auf abscheuliche Weise verunglimpft«. Im Übrigen handele es sich mitnichten um eine »Jugendsünde«.

reaktion Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje stieß in dasselbe Horn: »Wer für Wahlalter 16 ist (wie die Freien Wähler in Bayern), kann das Flugblatt eines 17-Jährigen nicht wie eine Jugendsünde behandeln«, so Hillje. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, zeigte sich in einer ersten Reaktion ebenfalls »sprachlos und entsetzt«. Der Tonfall des Aiwanger-Flugblatts erinnere sie »an die übelsten Hetzschriften der NS-Zeit«.

»Millionen Schoa-Opfer werden auf abscheuliche Weise verunglimpft.«

Zentralratspräsident Josef Schuster

Ganz anders sieht es hingegen der Historiker Michael Wolffsohn. In der »Bild«-Zeitung schrieb er, Aiwanger sei bislang »nie durch irgendwelche antisemitischen Äußerungen« auffällig geworden. Das Flugblatt sei zwar in der Tat »ekelhaft und widerwärtig«, so Wolffsohn, aber es sei nicht antisemitisch, da es nicht Juden verächtlich mache. Wolfssohn nannte das Ganze eine Kampagne der politischen Gegner gegen Hubert Aiwanger.

Doch auch im Lager der Ankläger Aiwangers wurde der Ton schnell schriller. Nicht alle nahmen ihm seine Erklärungen ab. In der SZ wurde darauf hingewiesen, dass Aiwanger schon seit Längerem versucht habe zu verhindern, dass über das Flugblatt öffentlich berichtet werde. Auch die Übernahme der Verantwortung durch den Bruder zweifelten einige Beobachter an; Rücktrittsforderungen wurden laut.

Bei der Regierungspartei CSU war die Unruhe groß. Söder hatte öffentlich seine Präferenz für die Fortsetzung der Koalition erklärt und andere Optionen ausgeschlossen. Am Dienstag wartete das politische München dann gespannt, wie der Ministerpräsident reagieren würde. Er bestellte Aiwanger zu einem außerordentlichen Treffen des Koalitionsausschusses ein. Manch einer wettete sogar darauf, Söder werde die Koalition wegen der Affäre platzen lassen. Andere warnten genau davor: Aiwanger und seine Partei würden daraus profitieren.

mittelweg Am Ende entschloss sich Söder für den Mittelweg – eine Gratwanderung, mit der er Zeit gewinnt. Die Vorwürfe gegen Aiwanger seien zwar schwerwiegend und noch längst nicht geklärt. Für eine Entlassung seines Wirtschaftsministers reichten die bislang vorgelegten Beweise aber nicht aus, erklärte der Ministerpräsident. »Das Hetz-Flugblatt ist übelster Nazi-Jargon und Dreck«, sagte er.

Die »persönliche Glaubwürdigkeit« des Wirtschaftsministers sei beschädigt, seine Entlassung aus dem Amt aber angesichts der Tatsache, dass viele Fragen weiter offen seien, aber »ein Übermaß«. Anstatt Aiwanger die Tür zu zeigen, legte Söder ihm einen Katalog mit 25 Fragen vor. Sein Stellvertreter habe ihm versprochen, sie »rasch und umfassend« zu beantworten. Erst dann könne man sich ein abschließendes Bild machen, so Söder.

Damit hatte er den Streit vorerst entschärft. Fragen wollte auch Söder in der Pressekonferenz nicht beantworten. Aiwanger twitterte am Mittwoch lediglich: »Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los.« Doch die Affäre dürfte für ihn noch nicht ausgestanden sein. Ebenso wenig ist ausgemacht, ob sie Aiwanger bei der Landtagswahl schaden oder bei seiner Wählerklientel, das eher rechts von der CSU zu verorten ist, sogar nutzen wird.

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