Nach der Resolution des Bundestags vor einer Woche geht die Debatte um die Regelung von Beschneidung von Jungen weiter. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht vor allem juristische Probleme bei der Erarbeitung eines Gesetzes. Die Sache sei »komplizierter, als ein einfaches Sätzchen irgendwo einzufügen«, sagte die Ministerin dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel.
Die Kinderbeauftragte der SPD-Fraktion, Marlene Rupprecht, schätzt, dass inzwischen mehr als die Hälfte ihrer Fraktion die Bundestagsresolution für einen »Schnellschuss« halte. Rupprecht bezeichnete die Beschneidung von männlichen Säuglingen im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen als eine »Form der Verstümmelung«. Deswegen brauche man auch kein neues Gesetz, die existierenden seien da eindeutig: »Das Wohl des Kindes ist vorrangig zu berücksichtigen.«
Kindeswohl Jens Petermann, Abgeordneter der Linkspartei, sagte schon während der Bundestagsdebatte, vom elterlichen Sorgerecht seien »nur Erziehungsmaßnahmen gedeckt, die dem Wohle des Kindes dienen« – die Brit Mila nützt Petermann zufolge »nicht dem Kindeswohl«. Der Linken-Politiker verwies auf »jüdische Gemeinden in Großbritannien«, in denen angeblich bei kleinen Jungen nur eine symbolische Beschneidung vorgenommen werde, ehe sie als Jugendliche dann selbst über den Eingriff entscheiden könnten.
Das Problem mit dieser Behauptung: Sie mag für ein oder zwei Reformgemeinden zutreffen, aber nicht für die große Mehrheit britischer Juden. Die sei »sehr traditionell« eingestellt, erklärt Dovid Cohen, Rabbiner von Chabad Lubawitsch in London. Der junge Rabbiner ist selbst gerade Vater eines Jungen geworden, der ganz selbstverständlich acht Tage nach seiner Geburt von einem ausgebildeten Mohel beschnitten werden soll.
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) hat inzwischen gemeinsam mit der Deutschen Kinderhilfe, dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sowie MOGIS e.V. (einem »Verband Betroffener sexuellen Kindesmissbrauchs«) beim Bundestag eine Petition eingereicht. Ziel sei es, eine »Versachlichung der Debatte um die Beschneidung zu erreichen und die Politik dazu zu bewegen, eine Abwägung der Kindesinteressen überhaupt zuzulassen«. Dazu solle der Bundestag »zunächst für zwei Jahre keine gesetzlichen Schritte zur Legitimation der Beschneidung von Jungen« ergreifen.
Auf der Website mit der Pressemitteilung des BDK über die Petition ist ein offenbar sehr trauriges Kind abgebildet, das den Kopf zwischen den Armen vergräbt – wohl nicht ganz unabsichtlich werden damit Assoziationen zu Kindern, die geschlagen oder missbraucht werden, geweckt.
Ob sich jüdische Eltern angesichts der Koalition aus Kripo, Kinderhilfe und Missbrauchsopfervertretern nicht in eine kriminelle Ecke gestellt fühlen könnten? Bernd Carstensen, Pressesprecher des BDK, sagt der Jüdischen Allgemeinen: »Das hoffe ich nicht!« Schließlich verstünden sich die im BDK organisierten Beamten als »kritische Kriminalisten«, die offen für Feedback aus der Bevölkerung seien. Es gehe ihnen lediglich um den »fachlich-sachlichen Diskurs«, bevor »ganz schnell« eine neue gesetzliche Regelung beschlossen werde. In der Debatte gebe es auch ganz viel »Unwissenheit«.
Lernen Was Carstensen den frisch gebackenen jüdischen Eltern eines Sohnes rate? Einen Rat könne er da nicht geben, er sei kein Jurist. Dass es allerdings eine der zentralen Mizwot im Judentum ist, Jungen am achten Tag nach der Geburt zu be- schneiden, scheint ihm nicht bekannt zu sein. Man würde aber mit allen reden und »lerne gerne dazu«. Mit einer jüdischen Gemeinde oder dem Zentralrat der Juden habe man vor Veröffentlichung der Petition aber nicht gesprochen.
Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, sagte der Jüdischen Allgemeinen, die Resolution des deutschen Parlaments verdiene Respekt: »Ich bin sehr erleichtert, dass der Deutsche Bundestag so schnell gehandelt und sich mit so deutlicher Mehrheit für die Legalisierung der Beschneidung ausgesprochen hat.« Graumann fordert: »Jetzt sollte alles dafür getan werden, damit sich die Gesetzgebung im Herbst nicht unnötig verzögert.«
Irritiert zeigte sich der Zentralratspräsident über den Verlauf der öffentlichen Diskussion über die Brit Mila: »Mich erstaunt, mit welcher Emotionalität, aber vor allem auch mit welcher Unkenntnis die Debatte zu häufig geführt wird.« Er wünsche sich, dass Kommentatoren sich zunächst »gründlich mit den Fakten vertraut« machen. »Vor allem die Gleichsetzungen mit Kindesmissbrauch sind einfach unsäglich, unerträglich – und gelegentlich leider doch wieder von infamen judenfeindlichen Vorurteilen getragen«, sagte Graumann.