Herr Minister, Israel wird 70. Was bedeutet Ihnen dieses Jubiläum?
Dieser besondere Jahrestag macht unsere schicksalhafte Verbindung noch einmal besonders greifbar. Für mich erwächst aus den schrecklichen, von Deutschen an Juden begangenen Verbrechen nicht nur eine historische Verantwortung unseres Landes, sondern auch eine tiefe persönliche Motivation für mein gesamtes politisches Handeln. Das wird mich auch in meinem neuen Amt leiten.
Sie waren erst kürzlich zum Antrittsbesuch in Israel. Wie würden Sie die deutsch-israelischen Beziehungen derzeit beschreiben?
Deutschland und Israel verbindet eine lebendige Freundschaft. Dies zeigt sich nicht nur im engen Austausch zwischen unseren Regierungen, sondern gerade auch in sehr vielfältigen Kontakten zwischen zahlreichen Menschen in unseren Ländern. Dies bedeutet nicht, dass wir in allen Fragen einer Meinung sein müssen. Im Gegenteil: Gerade weil unsere Beziehungen so tief und freundschaftlich sind, können wir alle Fragen vertrauensvoll und offen miteinander besprechen – auch da, wo es Differenzen gibt.
Sie haben sich für eine Vertiefung der Beziehungen zwischen beiden Ländern ausgesprochen. Was stellen Sie sich konkret darunter vor?
Schon jetzt bestehen zwischen Deutschland und Israel enge Bande, wie sie kaum mit anderen Ländern vergleichbar sind. Getragen wird diese positive Dynamik gerade auch von jungen Menschen. Im Wissenschaftsaustausch und in der Wirtschaftskooperation, aber auch bei der Bewältigung globaler Herausforderungen sehe ich ein Potenzial, das wir in den nächsten Jahren noch weiter entwickeln wollen.
Wird es besondere deutsch-israelische Begegnungen auf Regierungsebene im Rahmen des Jubiläums geben?
Das Jahr 2018 bietet viele Anlässe, auf dieses Jubiläum einzugehen. Dazu gehören auch die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen, die in diesem Jahr in Jerusalem stattfinden. Wir wollen die Freundschaft zwischen unseren Ländern noch tiefer verankern und erlebbar machen, wie vielfältig und bunt die Verbindungen sind. Dabei unterstützen wir in engem Kontakt zur israelischen Botschaft zahlreiche Veranstaltungen in Israel und Deutschland. Dem Miteinander gerade in Kunst, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft verdanken wir die Freundschaft unserer Völker. Diese Freundschaft besteht nicht nur auf politischer Ebene, besonders wichtig ist dabei die tiefe gesellschaftliche Verankerung vor allem auch in der jungen Generation.
Israels Botschafter Issacharoff hat zum Auftakt des Jubiläumsjahres am 18. Dezember 2017 in Berlin gesagt, Israelis und Deutsche teilten heute die gleichen Werte und stünden vor ähnlichen Herausforderungen. Stimmen Sie mit ihm überein?
Ja, wir müssen uns sehr ähnliche gesellschaftliche Fragen stellen. Wie gehen wir mit Populismus und der Spaltung der Gesellschaft um? Wie sorgen wir für Zusammenhalt? Welche Chancen und welche Risiken birgt die Digitalisierung? Wie erhalten wir den Spielraum für offene Gesellschaften angesichts der Anfeindungen von innen und außen?
Die gegenseitige Wahrnehmung hat sich stark verändert: Viele Israelis haben ein überwiegend positives Bild von Deutschland, umgekehrt gilt das Umfragen zufolge nicht. Wie erklären Sie sich das?
Für viele Deutsche mag das Bild von Israel durch aktuelle Berichte über den Nahostkonflikt geprägt sein. Gleichzeitig ist das Interesse an Israel ungebrochen, wie die vielen deutschen Freiwilligen, die sich in Israel zum Beispiel um Holocaust-Überlebende kümmern, die feierfreudigen Teilnehmer der Tel Aviv Pride, die große Zahl von Pilgern, die vielen deutsch-israelischen Städtepartnerschaften oder der Besucherandrang bei der Jerusalem-Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin zeigen.
Der Staat Israel entstand im Sinne der Ideen des Zionismus, also der jüdischen Nationalbewegung. Der Begriff Zionismus hat inzwischen in Deutschland in manchen Kreisen einen negativen Klang. Wie verstehen Sie ihn?
Die Idee des Zionismus spiegelt sich insbesondere in den Werten seiner Pioniere, die diesen Staat bis heute prägen. Dazu gehört der Respekt vor der Vielfalt der Lebensentwürfe, Unternehmergeist, der Glaube an die Kraft des Fortschritts und eine lebendige Demokratie, die das alles trotz Gegensätzen und äußeren Bedrohungen zusammenhält.
Israel spricht von der Wiedererlangung der Unabhängigkeit vor 70 Jahren und verweist auf die 3500 Jahre alte jüdische Geschichte des Landes. Palästinenserpräsident Abbas spricht von einem Kolonialprojekt, das nichts mit dem Judentum zu tun hat. Wie bewerten Sie das?
Israel ist kein Kolonialprojekt, das weise ich in aller Deutlichkeit zurück. Die Israelis haben ein Recht auf Heimat und einen Staat in gesicherten Grenzen, die Palästinenser auch. An jeder konstruktiven Lösung für die Zukunft müssen Israelis und Palästinenser gemeinsam beteiligt sein. Eine friedliche Zukunft für das jüdische und demokratische Israel können wir uns nach wie vor nur mit einer Zweistaatenlösung vorstellen.
Mit dem Bundesaußenminister sprach Detlef David Kauschke.