Es ist gerade mal fünf Wochen her, dass Angela Merkel angesichts der rasant steigenden Flüchtlingszahlen sagte: »Wir schaffen das!« Inzwischen, da der Flüchtlingsstrom unvermindert anhält, bröckelt bei vielen die Zuversicht. Schaffen wir das wirklich? Wo liegen die Grenzen dessen, was Deutschland bewältigen kann?
In der jüdischen Gemeinschaft ist diese Unsicherheit genauso vorhanden, warum sollte es auch anders sein? Allerdings kommt bei uns eine Sorge hinzu, die in anderen Kreisen leider noch zu wenig beachtet wird: Wes Geistes Kind sind die Menschen, die nach Deutschland fliehen? Es wäre naiv anzunehmen, dass es sich bei den Flüchtlingen ausschließlich um aufgeklärte, tolerante Demokraten handelt. Viele sind in diktatorisch regierten Ländern aufgewachsen, in denen Israel der Staatsfeind Nummer eins ist. In Syrien oder dem Irak ist Judenfeindlichkeit tief verwurzelt.
antisemitismus Schon während des Gaza-Konflikts 2014 hat sich auf unseren Straßen ein erschreckendes Ausmaß an Antisemitismus unter Muslimen offen gezeigt. Werden wir solche Demonstrationen und Ausschreitungen künftig häufiger erleben? Wird der arabischstämmige Antisemitismus in Deutschland zunehmen? Mit diesen Fragen wollen wir die Flüchtlinge nicht pauschal verdächtigen. Aber wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, wenn wir ernsthaft eine erfolgreiche Integration anstreben.
Daher müssen wir alles dafür tun, um die Flüchtlinge in unsere Wertegemeinschaft einzubinden. Bundespräsident Joachim Gauck hat am Tag der Deutschen Einheit betont, dass Deutschland gerade wegen seiner heterogenen Gesellschaft eine Rückbindung an unumstößliche Werte brauche. »Dazu zählt unsere entschiedene Absage an jede Form von Antisemitismus und unser Bekenntnis zum Existenzrecht von Israel«, sagte Gauck. Damit hat er die Haltung der jüdischen Gemeinschaft auf den Punkt gebracht. Es muss die Haltung der gesamten Gesellschaft werden, auch der Flüchtlinge.
Der Autor ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.