Über 160.000 Mal wurde das Video des Zentralrats der Juden in Deutschland angeklickt. Es ist mit einem Warnhinweis zum »verstörenden Inhalt« überschrieben. Unter Klarnamen haben Internetnutzer Aussagen gepostet wie: »Schade das hitler euch nicht komplett ausgerottet hat!!!« Oder: »Ich hoffe das dieser Judenhass immer größer wird.«
50 Hass-Nachrichten erreichten den Zentralrat täglich, sagte Präsident Josef Schuster der »Bild am Sonntag«. Er forderte Nachbesserungen im Strafrecht: Die meisten Absender wüssten genau, wie sie vorgehen müssten, um juristisch nicht belangt werden zu können.
Aufgrund einer Gesetzeslücke kann der Zentralrat die Judenhasser bei der Polizei nicht zur Anzeige bringen. »Obwohl uns Menschen mit ihrem Klarnamen geschrieben haben, können wir juristisch nicht dagegen vorgehen, weil das Strafrecht zum Beispiel Beleidigungen nur gegen Personen, nicht aber gegen Institutionen unter Strafe stellt«, so Schuster.
»Wir schaffen einen neuen Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung.«
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD)
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte an, eine jüngst beschlossene Änderung des Strafrechts zügig umzusetzen. »Wir schaffen einen neuen Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung«, sagte sie der Zeitung. Das bedeute: »Wer gegen Juden hetzt, muss vor Gericht konsequent zur Verantwortung gezogen werden.«
Derweil werden Rufe nach mehr Konsequenz und einer härteren Gangart im Umgang mit Antisemiten laut. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder erklärte, Antisemitismus - auch sogenannter Alltagsantisemitismus - sei ein schweres Vergehen. »Da sollten wir auch mit höheren Strafen operieren«, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt fügte in der »Bild am Sonntag« hinzu, wenn Asylbewerber an anti-israelischen Demonstrationen teilnähmen, müssten Abschiebungen möglich sein.
»Wir haben in Deutschland eine besondere Verantwortung gegen jeden Antisemitismus.«
Cem Özdemir
Zudem rückt das Thema Integration in den Blickpunkt. Wenn junge Menschen »aus Marokko oder aus der Türkei« nach Deutschland kämen, müsse man ihnen erklären, dass die Deutschen für das Existenzrecht Israels eine besondere Verantwortung hätten, sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«. Beispielsweise solle man Jugendliche zu Besuchen in KZ-Gedenkstätten ermuntern. Zuvor hatte die Erziehungsgewerkschaft GEW darauf hingewiesen, dass der Antisemitismus auch an Schulen wachse.
Neben rechtsstaatlicher Härte, so Schäuble, brauche es den »Konsens der Politik, dass es keinen Platz für Antisemiten gibt«. Das betonte auch Grünen-Politiker Cem Özdemir: »Wir haben in Deutschland eine besondere Verantwortung gegen jeden Antisemitismus«, sagte er der »Welt am Sonntag«. Es spiele keine Rolle, wer Juden und Jüdinnen bedrohe: Entscheidend sei, dass sie sich sicher fühlten.
Jahrzehntelang habe es eben diesen Konsens gegeben, sagte der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Viele Holocaust-Überlebende zweifelten inzwischen jedoch daran, dass er heute noch so bestehe. »Jede antisemitische Protestattacke, jede angezündete Israelflagge, jeder durchgestrichene Judenstern, jeder zerstörte Stolperstein, bestätigt, dass in der Gesellschaft etwas ins Rutschen gekommen ist.«
Hinzu kommt nach Worten des Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Maram Stern, ein mangelndes Wissen über den Nahost-Konflikt.
Levi Israel Ufferfilge, Schulleiter und Buchautor, mahnte eine stärkere Transferleistung an. Nur weil es einen »hart erarbeiteten, eingeübten öffentlichen Konsens über die Schoah« gebe, bedeute das nicht, dass heutiger Antisemitismus erkannt werde, sagte er der »Welt«. »Wenn der Antisemit nicht den Hitlergruß macht, wenn er die Synagoge anzündet, oder eine antisemitische Partei in ihrem Namen nicht mit NS-, sondern mit A- beginnt, bemerken sie es oft nicht einmal als Judenhass.«
Hinzu kommt nach Worten des Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Maram Stern, ein mangelndes Wissen über den Nahost-Konflikt. Zugleich habe sich die Unterscheidung zwischen Juden und Israel in der Wahrnehmung vieler Menschen aufgelöst, schreibt er in einem Beitrag für den am Wochenende aus Berlin erscheinenden Hintergrunddienst »Der Hauptstadtbrief«. Dabei könne es beim Antisemitismus keine zwei Seiten geben. »Ja, es kann nicht einmal Neutralität geben«, so Stern.
Und doch greifen Rassismus und Antisemitismus nach Beobachtung der Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano »im ganzen Land« um sich. Sie selbst habe keine Angst mehr um ihr Leben, sagte die 96-Jährige der »Bild am Sonntag«. Aber es gebe offensichtlich viele Menschen, »die nichts aus all den Verbrechen gelernt haben, die mir und Millionen anderen Juden angetan wurden«.