Meinung

Ruhe, bitte

Rabbiner Walter Rothschild Foto: Mike Minehan

So laut wie in ein Jiddenschil». Diese Redewendung sagt vieles. Unter anderem, dass es in Synagogen manchmal laut zugeht. Sehr laut. Auch wenn der internationale Tag gegen Lärm in dieser Woche gewiss nicht wegen der Juden ausgerufen wurde, so gibt es doch in orthodoxen Synagogen besonders viel Krach.

Dort sitzen nämlich die Männer unten und sprechen mit den anderen Männern über Politik, Sport und Geschäft. Da muss der Gabbaj herumlaufen und «Scha! Scha!» schreien, während oben auf der Empore die Frauen miteinander über Enkel, Mode und Rezepte reden. Da muss der Gabbaj nach oben schauen und «Scha!» schreien. (Im Unterschied dazu dürfen Ehepaare in liberalen Synagogen zusammensitzen und bleiben ruhig, weil sie sich nichts mehr zu sagen haben, wodurch sie sich besser auf das Gebet konzentrieren können.)

Irgendwo inmitten des Lärms spielen manchmal Kinder, regelmäßig schlagen Türen, und wenn man Glück hat, kann man trotz allem den Chasan hören. «Ma Tohu vaWohu Ohalecha Ja’akow!» singen wir. Viele Synagogen haben gemischte Chöre, was nichts anderes bedeutet, als dass einige dort singen können und andere nicht. Und das Schofar sollten wir auch nicht vergessen.

gojisch Kurz gesagt: Wo es so viel Lärm gibt, muss man ja lauter reden. Aber wo findet man Ruhe? Nicht mal während der «stillen» Amida, weil da überall die Mitbeter murmeln. Gegenüber der Stille hegen Juden seit jeher großes Misstrauen. Es heißt, dass, wenn es zu still ist, sicher etwas Böses kommen wird. Soll es ein stilles Gebet geben, fühlen sie sich unwohl, behaupten sogar, es ginge zu «wie in einer Kirche». Still zu sitzen, zu denken, zu meditieren – das scheint Juden irgendwie zu gojisch.

Das gilt natürlich auch für die typische Sitzung eines Gemeindevorstands. Es ist ja nicht nur so, dass jedes Vorstandsmitglied reden darf, nein, jeder muss reden – und zwar alle gleichzeitig. Es gilt die Regel: Wenn man etwas zu sagen hat, soll man es laut sagen, und wenn man nichts zu sagen hat, soll man doppelt so laut reden.

Moses erfuhr Gott auf einem Berg mit Donner und dem Lärm der Trompeten (2. Buch Mose 19,19), Elijahu jedoch erfuhr ihn als kleine Stille inmitten des Sturms (1. Buch Könige 19,12). Beides ist Gott, beides ist möglich. Aber hier auf der Erde muss man sich durchsetzen, und das bedeutet Lärm. Durch Lärm konnten die Israeliten die Stadtmauer Jerichos zum Einsturz bringen. Durch laute Gebete hoffen sie, die Mauer Jerusalems wieder aufzubauen.

Der Autor ist Landesrabbiner von Schleswig-Holstein.

Anschlag von Magdeburg

»Radikalisierung mit Extremismusbezügen nach rechts«

Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer verortet Tatverdächtigen im rechtsextremen Spektrum

 24.12.2024

Berlin-Schöneberg

Chanukka-Leuchter umgestoßen

Polizei: Zwei Arme der Chanukkia am Bayerischen Platz beschädigt – der Staatsschutz ermittelt

 24.12.2024

Taleb A.

Was über den Attentäter von Magdeburg bekannt ist

Er galt den Behörden nicht als Islamist, präsentierte sich als scharfer Islamkritiker, kämpfte für Frauenrechte und arbeitete als Arzt. Aber es gab auch eine andere Seite

 23.12.2024

Polen

Staatssekretär: »Würden Netanjahu bei Teilnahme an Auschwitz-Gedenkfeier verhaften«

Eine Auschwitz-Überlebende bringt wegen der polnischen Haltung einen Boykott der Gedenkfeier ins Spiel

 23.12.2024

Umfrage

Vertrauen in den Zentralrat der Juden vergleichsweise hoch

Laut einer Forsa-Umfrage ist das Vertrauen in den Zentralrat der Juden in Deutschland in der Gesellschaft höher als das in die Kirchen

 23.12.2024

Extremismus

Terrorexperte Peter Neumann fordert neue Täter-Kategorie

Nach dem Anschlag von Magdeburg: In Deutschland werde über Terroristen in allzu starren Kategorien gedacht

 23.12.2024

Gastkommentar

Antisemitismus: Lücken im Strafrecht schließen!

Im Kampf gegen Judenhass darf es nicht bei rechtlich unverbindlichen Appellen bleiben

von Volker Beck  23.12.2024

Brandenburg

Bürgermeister Arne Raue: Wechsel zur AfD vollzogen

Damit gibt es einen weiteren hauptamtlichen Bürgermeister der Rechtsaußen-Partei in Deutschland

 23.12.2024

Orthodoxe Rabbinerkonferenz

Rabbiner warnen nach Magdeburger Anschlag vor Hass und Spaltung

Die orthodoxen Rabbiner in Deutschland drücken ihre Anteilnahme nach dem tödlichen Angriff auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt aus

 23.12.2024