Brandmauer

Wenn die AfD Miteigentümer einer Synagoge ist

Mit Höcke an der Spitze: In Thüringen, Sachsen und Brandenburg liegt die AfD bei Umfragen zu den Landtagswahlen vorn. Foto: picture alliance/dpa

Wie kompliziert das ist mit der Brandmauer gegen rechts, lässt sich in Görlitz sehen. Die dortige ehemalige Neue Synagoge ist seit 2012 ein Kulturdenkmal von nationalem Rang und wurde seither umfassend saniert. Der prachtvolle Jugendstilbau hatte die Pogromnacht 1938 überstanden, weil das Feuer aus ungeklärten Gründen gelöscht wurde. Aber eine neue jüdische Gemeinde entstand nach dem Krieg nicht mehr in Deutschlands nun östlichster Stadt.

Seit den 60er-Jahren ist die Neue Synagoge in städtischem Besitz, verfiel zu DDR-Zeiten aber zusehends. Erst 2021 wurde sie als Kultureinrichtung neu eröffnet – und in der Hausordnung des Kulturforums Görlitzer Synagoge ist nun die Rede von der »besonderen historischen Verantwortung gegenüber den jüdischen Mitbürgern, die einst mit großem Engagement das städtische Leben in Görlitz bereichert haben«.

Hausverbot für die AfD

Konkret: Antisemitische, rassistische, gewaltverherrlichende oder extremistische Äußerungen sind an diesem Ort untersagt, »dies gilt auch für die Relativierung des Holocaust«. Und weiter: »Organisationen, die offiziell als verfassungsfeindlich oder mutmaßlich verfassungsfeindlich eingestuft sind, dürfen das Kulturforum nicht für Veranstaltungen anmieten.« Die AfD hat also Hausverbot.

Aber es ist komplizierter. Denn die AfD ist heute die größte Fraktion im Stadtrat. Frank Seibel von der städtischen Kulturservicegesellschaft sagt der Jüdischen Allgemeinen: »Wir müssen mit dem merkwürdigen Umstand umgehen, dass die AfD gewissermaßen Miteigentümerin des Kulturforums Görlitzer Synagoge ist. Die AfD ist auch im Aufsichtsrat unserer Gesellschaft vertreten, und natürlich müssen wir miteinander umgehen.« Parteien dürften das Haus generell nicht anmieten. »Aber schon dann, wenn parteinahe Stiftungen als Veranstalter an uns herantreten, können wir in eine Grauzone geraten.«

Die AfD in Sachsen ist – nach der von Rechtsaußen Björn Höcke in Thüringen und dem Landesverband Sachsen-Anhalt – vom Verfassungsschutz als »gesichert rechtsextremistisch« eingestuft worden. In Umfragen zur Landtagswahl 2024 liegt die Partei in Sachsen vorn – ebenso wie in Thüringen und Brandenburg, wo gleichfalls gewählt wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie in mindestens einem der drei Bundesländer die absolute Mehrheit der Parlamentssitze erringt.

Ein Neonazi als Regierungschef – das bisher Undenkbare gerät in den Bereich des Möglichen. Im Deutschlandfunk behauptete Sachsens AfD-Chef Jörg Urban vor ein paar Tagen, es gebe mit CDU-Landtagsabgeordneten Gespräche über eine Regierungsbeteiligung. Aus der Union hieß es dazu, wenn überhaupt, dann könnten das nur Hinterbänkler gewesen sein.

Ein Neonazi als Regierungschef – das Undenkbare wird möglich.

Nicht nur, aber vor allem in Ostdeutschland hat sich die AfD hineingefressen in die Gesellschaft. Ihre Funktionäre sind zugleich aktiv in Feuerwehr und in Sportvereinen und auch in der Polizei. Die Partei legt zu, vermutlich gerade deshalb, weil sie immer radikaler wird, das drückt sich aus bei Erfolgen bei Landtags- und Bundestagswahlen. Und neben dem im Dezember in Pirna gewählten ersten AfD-Oberbürgermeister zum Beispiel zuvor auch im ersten AfD-Landrat, im Juni 2023 gewählt im thüringischen Sonneberg. Die Mitgliederzahl der AfD wuchs derweil im vergangenen Jahr um rund 37 Prozent auf 40.131.

AfD-Politikern in dieser Lage den Handschlag zu verweigern, das fällt Demokraten in der Provinz immer schwerer. Mancher Gastwirt entscheidet sich für Zivilcourage – und verzichtet auf den AfD-Stammtisch. Aber er gibt dann vorsichtshalber auch keine Räume an andere Parteien mit dem Ergebnis, dass die CDU in manchen Regionen Sachsens Schwierigkeiten hatte, einen Wirt für ihren Gänsebraten zur Adventszeit zu bekommen.

Der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, rät, der Demokratie in diesem Moment eine Atempause zu verschaffen – mit einem AfD-Verbotsverfahren. An den Mandaten in den Parlamenten würden Tausende von Mitarbeiterstellen hängen, und in der Regel seien diese Mitarbeiter »noch radikaler als ihre Abgeordneten«. Wanderwitz spricht von »Verbindungsfiguren, die, mit Steuergeld alimentiert, ihren Hass, ihr Gift, ihre Ideologie verbreiten«. Mit seiner Forderung nach einem AfD-Verbot ist Wanderwitz im Bundestag derzeit in der Minderheit.

Agitation gegen Muslime und Migranten

Beim Thema Anti­semi­tismus ist die AfD nicht glaubwürdiger. Manche Funktionäre nutzen die Situation seit dem 7. Oktober zur Agitation gegen Muslime und Migranten – ein Phänomen, das der Verfassungsschutz unter Rechtsextremisten generell beobachtet. Zu ihnen gehört der sächsische AfD-Chef Urban, der in einem Video erklärte, mit »Masseneinwanderung« komme auch der Judenhass nach Deutschland. Die rassistische Pegida-Bewegung lobte Urban mit dem Hinweis, mit ihrer Warnung vor der Islamisierung Deutschlands warne sie auch vor Antisemitismus.

Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD bei der Europawahl, sagte dagegen im November auf einer Tagung von Götz Kubitscheks neu-rechter Kaderschmiede »Institut für Staatspolitik«, wer wie er die Angriffe der Alliierten im Februar 1945 auf Dresden für unzulässig erachtet habe, müsse dies nun entsprechend auch bei den israelischen Militärschlägen im Gazastreifen tun. Neue Flüchtlingsströme aus den palästinensischen Gebieten oder Einigung der islamischen Welt seien ein »Schreckensszenario«. Eine »massive Israel-Freundschaft über die eigenen Interessen hinweg« dürfe es deshalb nicht geben. Krah sagte: »Es ist nicht wirklich unser Konflikt. (…) Wir haben keine besondere Verantwortung.«

Würdigung

Argentiniens Präsident Milei erhält »jüdischen Nobelpreis«

Der ultraliberale Staatschef gilt als enger Verbündeter Israels und hat großes Interesse am Judentum. Das Preisgeld in Höhe von einer Million Dollar will er für den Kampf gegen Antisemitismus spenden

von Denis Düttmann  14.01.2025

Berlin

Vereinigung fordert Ausschluss der AfD bei Holocaust-Gedenken

Die demokratische Einladungspraxis, alle im Parlament vertretenen Parteien einzubeziehen, sei für die NS-Opfer und ihre Nachkommen und für viele demokratische Bürger nicht mehr tragbar

 14.01.2025

New York

46 Prozent aller Erwachsenen auf der Welt haben antisemitische Ansichten

Die Anti-Defamation League hat 58.000 Menschen in 103 Ländern befragt

 14.01.2025

NRW

NRW-Leitlinien für zeitgemäßes Bild des Judentums in der Schule

Mit Büchern gegen Antisemitismus: NRW-Bildungsministerin Feller hat zwölf Leitlinien für die Darstellung des Judentums in der Schule vorgestellt. Denn Bildungsmedien seien ein Schlüssel zur Vermittlung von Werten

von Raphael Schlimbach  14.01.2025

Faktencheck

Hitler war kein Kommunist

AfD-Chefin Weidel bezeichnet den nationalsozialistischen Diktator als »Kommunisten«. Diese These wird von wissenschaftlicher Seite abgelehnt

 14.01.2025

Berlin

Wegen Gaza-Krieg: Syrer beschädigt erneut Gebäude im Regierungsviertel

Erst das Innenministerium, dann der Amtssitz des Bundeskanzlers: Zweimal binnen weniger Tage fasst die Polizei in Berlin einen Mann, der wegen des Gaza-Kriegs wütet

 14.01.2025

Studie

Frauen und jüdischer Widerstand bei Schulnamen unterrepräsentiert

Welche Persönlichkeiten prägen die Namen deutscher Schulen? Eine Studie zeigt: Pädagogen spielen eine große Rolle. Frauen und Juden eher weniger

 14.01.2025

Debatte

»Zur freien Rede gehört auch, die Argumente zu hören, die man für falsch hält«

In einem Meinungsstück in der »Welt« machte Elon Musk Wahlwerbung für die AfD. Jetzt meldet sich der Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner zu Wort

von Anna Ringle  13.01.2025

7. Oktober

Einigung auf Geisel-Deal zum Greifen nahe 

Ein Drei-Stufen-Plan sieht Medien zufolge die Freilassung von Geiseln sowie palästinensischen Häftlingen vor. Das Weiße Haus gibt sich optimistisch, dass bald ein Deal stehen könnte

von Julia Naue  13.01.2025 Aktualisiert