Halle-Prozess

RIAS-Chef kritisiert mangelnden Schutz der Synagoge

Benjamin Steinitz, Leiter der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) Berlin Foto: dpa

Der Anschlag auf die Synagoge in Halle vor über einem Jahr ereignete sich nach Einschätzung eines Experten nicht im gesellschaftlichen Vakuum. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (RIAS), Benjamin Steinitz, berichtete am Dienstag im Prozess gegen den Synagogen-Attentäter Stephan B. vor dem Oberlandesgericht Naumburg über die Auswirkungen der Tat auf das jüdische Leben in Deutschland. Es sei eine weitere Tat in einer langen Kette gewesen. Antisemitismus und gezieltes Töten von Juden habe nach 1945 nicht aufgehört, sagte Steinitz.

Umso bemerkenswerter sei es gewesen, betonte Steinitz, dass der Staat die Synagoge von Halle nicht besser geschützt hat. »Aus unserer Sicht hätten die Behörden den unzureichenden Schutz kennen müssen«, betonte der RIAS-Chef.

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Polizei, Landeskriminalamt (LKA) und Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) hatten nach dem Anschlag mehrfach gesagt, dass sie keinerlei Hinweise auf den Anschlag und eine veränderte Sicherheitslage der Synagoge gehabt hätten. Diese Einschätzung hatte unter anderem der Zentralrat der Juden in Deutschland massiv kritisiert und Stahlknechts Eignung als Innenminister bezweifelt. Auch laut Steinitz weichen die Sicherheitseinschätzungen der Behörden für jüdische Einrichtungen oft von denen der betroffenen Gemeinden ab.

Der Politologe lobte, dass das Gericht im Verfahren die Überlebenden aus der Synagoge so ausführlich zu Wort kommen ließ. Das habe den Plan des Angeklagten, seine Botschaften im Prozess zu transportieren, konterkariert und »erhebliche Solidarisierungsprozesse auch außerhalb des Gerichtssaals« angestoßen«. Das habe den Betroffenen geholfen.

Steinitz lobte, dass das Gericht im Verfahren die Überlebenden aus der Synagoge so ausführlich zu Wort kommen ließ.

Rias untersucht und dokumentiert in Deutschland antisemitische Angriffe. Die Mehrheit der Juden würden solche Attacken alltäglich erleben, die wenigsten sie aber zur Anzeige bringen, sagte Steinitz. In Befragungen unter Juden in Deutschland hätten 79 Prozent angegeben, den schwersten Fall antisemitischer Angriffe, den sie erlebt hätten, nicht zur Anzeige gebracht zu haben.

Zu Beginn des 20. Prozesstages hatte das Gericht einen Antrag der Verteidigung abgelehnt, die das Verfahren unterbrechen oder aussetzen wollte. Letzteres hätte einen kompletten Neubeginn des Prozesses erforderlich gemacht. Es ging dabei um einen möglichen weiteren Mordversuch, der dem Angeklagten angelastet werden könnte. Stephan B. hatte auf seiner Flucht mit einem Auto in Halle einen Somalier angefahren. Aus Sicht des Gerichts handelte es sich dabei aber nicht um neue Tatsachen.

WAFFEN B. hatte am 9. Oktober 2019 aus einer antisemitischen Motivation heraus einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt. Weil es ihm nicht gelang, mit Sprengsätzen und Schusswaffen in die Synagoge einzudringen, erschoss er eine 40 Jahre alte Passantin und anschließend in einem Döner-Imbiss einen 20-jährigen Mann.

Die Bundesanwaltschaft hat B. wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie weiterer Straftaten angeklagt. B. droht eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. epd/dpa

Der Prozess wird am 18. November sowie am 1., 2., 8., 9., 21. und 22. Dezember fortgesetzt.

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