Auf dem vorletzten Podium der Tagung »Rückkehr nach Aschkenas. Juden vom Mars und Deutsche aus Russland: Die Rekonstruktion einer Fehleinschätzung« wurden die Teilnehmer deutlich.
»Als mein Großvater in Rente gegangen ist, mussten meine Großeltern aus ihrer Wohnung ausziehen, weil sie für das Amt zu groß war«, sagte der Filmemacher Arkadij Khaet: »Das ist eine wahnsinnige Ungerechtigkeit, die nicht zu erklären ist. Gleichzeitig schmückt man sich mit dem jüdischen Leben in Deutschland, man stellt es die ganze Zeit aus (…), wir feiern 1700 Jahre, und der Enkel sitzt auf einem Podium ›Rückkehr nach Aschkenas‹. Aber man schafft es über 30 Jahre nicht, die Renten anzugleichen für Leute, die Jahrzehnte gearbeitet haben.«
VORTRÄGE Die Tagung in Berlin begann am Sonntag mit wissenschaftlichen Vorträgen über das historische Aschkenas und die Geschichte der aschkenasischen Juden, die Rückkehr des Jiddischen nach Deutschland und den Antisemitismus in der Sowjetunion – dafür wurde Irina Scherbakowa von der inzwischen verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial International zugeschaltet.
Am Montagnachmittag, nach einem historischen Rückblick mit Micha Guttmann, Peter Fischer, Wolfgang Templin und Anetta Kahane auf die Entstehungsgeschichte der Aufnahmeregelung für jüdische Kontingentflüchtlinge von 1991, demonstrierten Filmemacher Khaet, Anastassia Pletoukhina, Alina Fejgin und Lars Umanski sowie Moderatorin Dalia Wissgott-Moneta auf dem Podium »Ausgerechnet Deutschland?!«, was Altersarmut für Zuwanderer bedeutet.
Umanski, Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), sagte über seine Eltern: »Es zerfrisst sie innerlich, dass sie in sieben bis acht Jahren in Rente gehen werden und bis heute nicht wissen, ob es Grundsicherung wird oder eine Minimalrente – oder ob sie auf Wohngeld angewiesen sein werden.«
Volker Beck, mit Deidre Berger Gesellschafter des Tikvah Instituts, hatte die Veranstaltung als Fortsetzung der Tagung »Wie deutsch ist Jiddisch?« im Oktober 2021 konzipiert.
Volker Beck, mit Deidre Berger Gesellschafter des Tikvah Instituts, hatte die Veranstaltung als Fortsetzung der Tagung »Wie deutsch ist Jiddisch?« im Oktober 2021 konzipiert. Die Forderung, Jiddisch als Minderheitensprache anzuerkennen und auf diesem Weg die jüdischen Zuwanderer mit »russlanddeutschen Spätaussiedlern« gleichzustellen, wurde auch diesmal von Politikern verschiedener Parteien unterstützt.
Berger bekräftige: »Unsere Tagung hat gezeigt, dass es so viele Verflechtungen zwischen aschkenasischem Judentum und deutscher Kultur gibt. Das zeigt, dass man die Frage der Zugehörigkeit zum ›deutschen Sprach- und Kulturkreis‹ völlig neu diskutieren muss.«
IMPULS Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, versicherte in einem Impulsvortrag, er begrüße »ausdrücklich den Anstoß der Tagung, die Auseinandersetzung mit der jüdischen Zuwanderung in Bezug auf die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, auf die Behandlung in der Sozial- und Rentenversicherung zu suchen«.
Mittlerweile ist von der Regierungskoalition eine Härtefallregelung mit 10.000 Euro angedacht, doch Volker Beck warnt: »Dass der Härtefonds einen Haushaltstitel im Bundeshaushalt 2022 hat, heißt noch lange nicht, dass er auch kommt.« Der SPD-Politiker Helge Lindh erklärte beim Abschlusspodium, er halte die Umsetzung im Rahmen des Haushalts von 2023 für realistisch.
Allerdings sagte Beck der Jüdischen Allgemeinen, Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, habe »trickreich in seinem Konzept einen Selbstzerstörungsmechanismus eingebaut: eine Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern, der sie zur hälftigen Kostenübernahme verpflichten sollte«.
Es sei aber nicht ersichtlich, warum die Länder auf den Vorschlag des Bundessozialministeriums eingehen sollten. Es gehe um viel Geld, da der Großteil der Begünstigten des Härtefonds DDR-Rentner und Aussiedler sein würden. Nur ein Bruchteil werde den jüdischen Zuwanderern zukommen. Ohnehin reiche der Fonds nicht aus: »Die Gleichstellung im Fremdrentengesetz muss folgen.«