Jan-Robert von Renesse schweigt – gezwungenermaßen. Der Richter am Landessozialgericht (LSG) Essen, der auf die sogenannten Ghettorenten (ZRBG) spezia- lisiert ist, darf sich nicht mehr ohne Rücksprache zu seiner Arbeit äußern. Das LSG verweist auf seine Presserichtlinien. Nach denen dürfen Richter zu ihrer Tätigkeit nicht öffentlich Stellung nehmen, um keine laufenden Verfahren zu beeinflussen. Dabei hätte von Renesse wohl einiges zu sagen, gerade jetzt, eine Woche, nachdem der Bundesvorstand der Deutschen Rentenversicherung beschlossen hat, dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom Juni 2009 zu folgen und 56.000 Anträge auf Ghettorenten erneut zu prüfen (vgl. Infokasten).
Kraft Der 43-jährige von Renesse hat einiges dazu beigetragen, dass das BSG so entschieden hat. Das habe die Rechtsprechung »spektakulär gedreht«, lobt LSG-Präsident Jürgen Brandt. Von Renesses Anteil besteht darin, dass er der erste Richter war, der zu Schoa-Überlebenden nach Israel reiste, um sie dort offiziell anzuhören. »Er ist am Ball geblieben, hat Experten ermitteln lassen und sich gefragt, wo die Sozialversicherungsbeiträge geblieben sind«, sagt die Berliner Anwältin Simona Reppenhagen. Die 49-Jährige, selbst Tochter von Schoa-Überlebenden, vertritt Kläger, die um ihre Ghettorenten kämpfen. Sie weiß, dass es viel Kraft und Ausdauer kostet, sich durch die Aktenberge zu wühlen. Und wie schwierig es werden kann, wenn man als Richter zugunsten der Überlebenden entscheidet.
Urteil Zum Beispiel habe der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundessozialgericht (4. Senat), Wolfgang Mayer, Ende 2006 genau das getan. Danach wurde ihm nach Angaben Reppenhagens durch die Veränderung des Geschäftsverteilungsplans die Zuständigkeit für solche Verfahren genommen. »Anstatt ihm Anerkennung auszusprechen, ist er von den Ghettorenten-Fällen abgezogen worden«, sagt die Anwältin. Dass die Deutsche Rentenversicherung sich nun entschlossen hat, dem Urteil des Bundessozialgerichts zu folgen, beeindruckt Reppenhagen nicht: Zu viele Holocaustopfer seien zu Lebzeiten nicht mehr in den Genuss ihrer Rentenansprüche gekommen. Emmanuel Nachshon, Gesandter der israelischen Botschaft in Berlin, bekräftigt, dass das Urteil und seine Umsetzung durch die Rentenversicherung sehr spät kommt. Aber er sagt auch: »Besser spät als nie.« Nachshon beschäftigt sich schon seit Jahren mit Ghettorenten. Der Gesandte findet es wichtig und richtig, dass von Renesse nach Israel gereist ist, um sich persönlich mit den Schoa-Überlebenden zu treffen. »Wir haben ihm geholfen, dass er seinen Job gut erledigen konnte«, sagt Nachshon.
Die Deutsche Rentenversicherung will nach eigenen Angaben jetzt rasch die abgelehnten Anträge nochmals prüfen: »Wir folgen dem Urteil und setzen es bereits um«, sagt eine Sprecherin. Das wird den Richter Jan-Robert von Renesse wohl freuen. Nur reden darf er darüber nicht.