Extremismus

Reichsfahnen auf deutschen Straßen: Kommt bald ein Verbot?

Querdenker vor dem Reichstagsgebäude in Berlin (29. August 2020) Foto: 2020 Getty Images

Bilder von aufgebrachten Demonstranten, die vor dem Reichstagsgebäude schwarz-weiß-rote Fahnen schwenken, haben die Republik schockiert und gingen um die Welt. Auch in Stuttgart wehten Reichsfahnen und Reichskriegsflaggen auf Kundgebungen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen. Unter denen, die diese Fahnen besitzen, sind viele Reichsbürger, die das System der Bundesrepublik nicht anerkennen, und auch Rechtsradikale.

Die Bremer Innenbehörde hat vergangene Woche beschlossen, die Flaggen aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Laut dem Bremer Erlass »stellt ihre Verwendung in der Öffentlichkeit regelmäßig eine nachhaltige Beeinträchtigung der Voraussetzungen für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben und damit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar«.

BREMEN Die Polizei im Bundesland Bremen kann die Flaggen nun konfiszieren und die Eigentümer mit einem Bußgeld von bis zu 1000 Euro zur Kasse bitten. Ähnliche Überlegungen gibt es in Thüringen. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält ein Verbot für »angemessen«.

»Man darf sich nichts vormachen: Rechtsradikale und rechtspopulistische Gegner unserer Demokratie werden andere Symbole finden, unter denen sie sich versammeln können.«

Die Amadeu Antonio Stiftung, die sich dem Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus verschrieben hat, findet die Flagge zwar auch problematisch. Nach Einschätzung ihrer Experten wird sie gerne von Neonazis als »Ersatzflagge« für die bundesweit verbotene Reichskriegsflagge des NS-Regimes mit Hakenkreuz benutzt. Sprecherin Simone Rafael meint jedoch: »Verbote zeigen Grenzen, was gut ist, lösen aber keine Probleme.«

Sie rechnet damit, dass die »rechtsalternative Szene« sich dann eine neue Flagge suchen oder einfach mit der schwarz-rot-goldenen Deutschlandfahne marschieren würde. Daher sei es wichtiger, herauszufinden: »Warum folgen die Menschen diesen wahnhaften Erzählungen, Deutschland sei besetzt und nicht souverän?« Und: »Wie holen wir die Menschen zurück, damit ein Gespräch wieder möglich ist?

GESCHICHTE Die schwarz-weiß-rote Reichsfahne war zwischen 1871 und 1919 die Flagge des Deutschen Reichs, ab 1892 auch offizielle Nationalflagge des Kaiserreichs. Die Nationalsozialisten übernahmen die Farben ab 1933 wieder. Dazwischen - in der Zeit der Weimarer Republik - waren die Farben des Deutschen Reichs Schwarz-Rot-Gold.

Unter der schwarz-weiß-roten Fahne sammelten sich zu jener Zeit die rechten Gegner der Demokratie, erklärt der Marburger Historiker Eckart Conze. Dabei habe es sich sowohl um Anhänger des autoritären Kaiserreichs als auch Verfechter eines neuen »Führerstaats« gehandelt. In deren Tradition stellten sich auch heutige Rechtsradikale, glaubt Conze.

Die Reichskriegsflagge war die Fahne der Streitkräfte des Deutschen Reiches. Es gibt sie in verschiedenen Variationen. Sie zeigt stets das Eiserne Kreuz, das wichtigste Symbol des preußischen Militärs. Ab 1935 gab es die Reichskriegsflagge außerdem mit Hakenkreuz in der Mitte. Diese Variante ist in Deutschland bundesweit verboten.

Conze, der an der Universität Marburg Neuere und Neueste Geschichte lehrt, spricht sich für eine Einschränkung des Gebrauchs der Fahnen aus. Er sagt: »Im öffentlichen Raum haben sie nichts zu suchen, weil sie für eine radikale Ablehnung und Bekämpfung unserer freiheitlichen Demokratie und ihrer Werte stehen.«

GEFAHR Seit den 90er-Jahren hat es immer wieder Diskussionen um ein Verbot vor allem der Reichskriegsflagge gegeben. Sie kann laut Verfassungsschutz in bestimmten Fällen sichergestellt werden, zum Beispiel, »wenn die Flagge Kristallisationspunkt einer konkret drohenden Gefahr ist«.

»Diese Praxis ließe sich sicher auf die schwarz-weiß-rote Reichsfahne ausweiten«, schlägt der Historiker vor. Doch auch er weist auf die Grenzen möglicher Einschränkungen hin: »Man darf sich nichts vormachen: Rechtsradikale und rechtspopulistische Gegner unserer Demokratie werden andere Symbole finden, unter denen sie sich versammeln können.«

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) steht Überlegungen der Länder mit dem Ziel, das Zeigen der Flagge einzuschränken, aufgeschlossen gegenüber.

Wenn Rechtsextreme die Reichskriegsflagge zeigten, sei dies Ausdruck einer Glorifizierung der deutschen Streitkräfte sowohl des Kaiserreichs als auch des Dritten Reiches. Die Träger verharmlosten beide Weltkriege und relativierten deutsche Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges.

NS-Zeit Mathias Middelberg, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, hat kein Problem mit der Flagge an sich, findet es aber »unerträglich, wenn historische Flaggen aus der Kaiserzeit zu antidemokratischen, extremistischen Zwecken missbraucht werden«. Ein generelles Verbot dürfte seiner Ansicht nach aber schwierig werden: »Da die Flaggen für sich genommen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus stehen.«

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) steht Überlegungen der Länder mit dem Ziel, das Zeigen der Flagge einzuschränken, aufgeschlossen gegenüber. Er setzt sich für eine bundesweit einheitliche Regelung ein und will das Thema bei der nächsten Innenministerkonferenz von Bund und Ländern besprechen.

Die AfD hält nichts von einem Verbot. Der Innenpolitiker und Bundestagsabgeordnete Martin Hess sieht sich durch die aktuelle Debatte zu den Fahnen in seinem Gefühl bestätigt, »dass gegen Regierungskritiker mit unnötiger Repression vorgegangen wird, während Linksextremisten das Demonstrationsrecht oftmals ungehindert für massive Gewalttaten missbrauchen.«

NEONAZIS Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser hält aus anderen Gründen wenig von Flaggenverboten. »Das Problem sind doch nicht die Flaggen, sondern diejenigen, die sie tragen«, sagt er. Die Sicherheitsbehörden bräuchten eine bessere Analysefähigkeit, um Radikalisierung und Mobilisierung zu erkennen. Nur so könne verhindert werden, dass sich »Neonazis in Wolf-im-Schafspelz-Manier als besorgte Bürger« ausgäben und mit ihren Botschaften »ganz normale Menschen« erreichten.

Ute Vogt, innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, hält die jetzt schon bestehende Möglichkeit, die Fahne unter Berufung auf das Versammlungsrecht einzuziehen, für ausreichend. Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus sei nur zu gewinnen »mit klarer Haltung für Menschlichkeit und Demokratie«.

Kommentar

Erdoğans Vernichtungswahn ist keine bloße Rhetorik

Der türkische Präsident hat nicht nur zur Auslöschung Israels aufgerufen, um von den Protesten gegen ihn abzulenken. Deutschland muss seine Türkeipolitik überdenken

von Eren Güvercin  01.04.2025

Essay

Warum ich stolz auf Israel bin

Das Land ist trotz der Massaker vom 7. Oktober 2023 nicht zusammengebrochen, sondern widerstandsfähig, hoffnungsvoll und vereint geblieben

von Alon David  01.04.2025

USA

Grenell könnte amerikanischer UN-Botschafter werden

Während seiner Zeit in Berlin machte sich Grenell als US-Botschafter wenig Freunde. Nun nennt Präsident Trump seinen Namen mit Blick auf die Vereinten Nationen. Aber es sind noch andere im Rennen

 01.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  01.04.2025

Judenhass

Todesstrafen wegen Mordes an Rabbiner in Emiraten

Ein israelischer Rabbiner wurde in den Vereinigten Arabischen Emiraten getötet. Der Iran wies Vorwürfe zurück, die Täter hätten in seinem Auftrag gehandelt. Drei von ihnen wurden zum Tode verurteilt

von Sara Lemel  31.03.2025

Vereinten Nationen

Zweite Amtszeit für notorische Israelhasserin?

Wird das UN-Mandat von Francesca Albanese um drei Jahre verlängert? Das Auswärtige Amt drückt sich um eine klare Aussage

von Michael Thaidigsmann  31.03.2025

Meinung

Marine Le Pen: Zu Recht nicht mehr wählbar

Der Ausschluss der Rechtspopulistin von den Wahlen ist folgerichtig und keineswegs politisch motiviert

von Michael Thaidigsmann  31.03.2025

Essay

Dekolonisiert die Dekolonialisierung!

Warum die postkoloniale Theorie jüdische Perspektiven anerkennen muss

von Lisa Bortels  31.03.2025

Türkei

Erdoğan: »Möge Allah das zionistische Israel zerstören«

Ein antisemitisches Statement von Präsident Recep Tayyip Erdoğan löst einen Streit mit dem jüdischen Staat aus

 31.03.2025