Standpunkt

Region der Gewalt

Trauerfeier am Dienstag in Nof Ayalon: Rachel und Avi Frenkel am Sarg ihres Sohnes Naftali Foto: dpa

Trauer, Wut, Verzweiflung – wie soll man als Israeli auf die Nachricht von dem kaltblütigen Mord an den drei entführten Jungen reagieren? Wir wissen, dass wir in einer von Gewalt bestimmten Nachbarschaft leben. Das ist nicht neu, wir haben über viele Jahre gelernt, damit umzugehen. Auch wenn es irgendwann irgendwelche Friedensvereinbarungen geben sollte, ist und bleibt das die Realität.

In den USA gibt es Erdbeben, Schlammlawinen, Hurrikane und Tornados. Dort lebt man von Natur aus in einer recht ungemütlichen Umgebung. Wir hingegen haben eine sehr unangenehme Umgebung, was die dort lebenden Menschen angeht, in der es zur politischen Kultur gehört, sich gegenseitig umzubringen. Von Zeit zu Zeit bricht sich das Bahn. Es ist traurig, dass es Naturkatastrophen gibt. Es ist auch traurig, dass es derartige Gewaltexzesse gibt. Aber wer glaubt, dass sich das ändert, wenn zum Beispiel die USA versuchen, Demokratie in die Region zu exportieren oder Europäer Menschenrechte, lebt nicht in der nahöstlichen Realität. Dort geht es leider blutig zu.

barbarisch Anders, als man sich das in Europa gerne vorstellt, kommt es hier nicht hin und wieder zu Zuspitzungen, die nach einer Weile friedlichen Lösungen weichen. Diese Option gibt es nicht. Der Nahe Osten ist eine barbarische Region. Wir sehen derzeit, was im Irak und in Syrien Araber einander antun. Menschen gleichen Glaubens, gleicher Kultur und gleicher Sprache schlachten sich gegenseitig ab. Es ist eine schon gefährliche Naivität, wenn Amerikaner, Europäer und auch manche Israelis annehmen, diejenigen, die in brutaler Art und Weise ihre eigenen Brüder ermorden, würden sich gegenüber Juden besser verhalten. Das ist uns jetzt wieder einmal mehr vor Augen geführt worden.

Ebenso naiv und noch schlimmer ist es, zu glauben, Israel müsse sich nur anders verhalten, um an dieser Lage etwas zu ändern. Mit Staaten kann man zu einem Modus Vivendi kommen, wie es Israel mit Ägypten oder Jordanien gelungen ist. Aber nicht mit einer Gesellschaft wie der palästinensischen, die, das zeigen auch die dortigen Reaktionen auf die Entführung der drei Jungen, keine Regeln und keine Verantwortung kennt. Deshalb war die ablehnende israelische Position gegenüber der palästinensischen Einheitsregierung aus Fatah und Hamas mehr als berechtigt.

eskalation Das zeigt auch die aktuelle Eskalation an der Südgrenze des Landes. Wenn aus dem Gazastreifen nicht Dutzende Raketen auf Sderot und Aschkelon abgefeuert worden wären, würde Israel dort jetzt keine Ziele angreifen müssen. Diese Luftangriffe stehen übrigens nicht im Zusammenhang mit dem, was bei Hebron geschehen ist. Sie sind keine Vergeltung für den Mord an den drei Jungen. Israel greift im Gazastreifen Ziele an, weil von dort aus auf israelische Städte geschossen wird.

Gewiss, Todesopfer gibt es dabei auf israelischer Seite (noch) nicht zu beklagen, weil wir das Raketenabwehrsystem »Iron Dome« haben. Deshalb glauben einige Kritiker, man müsse die Raketenangriffe nicht so ernst nehmen. Wenn ein Verbrecher auf einen Polizisten schießt und das keine Folgen hat, weil der Polizist durch eine kugelsichere Weste geschützt ist, ändert das nichts daran, dass der Verbrecher nun einmal geschossen hat und man ihn lehren muss, dass er sich das nicht erlauben darf. Das nennt man Abschreckung.

archaisch
Auch in dem Entführungsfall mit seinem grauenvollen Ende geht es nicht um irgendwelche archaischen Rachegelüste. Von israelischer Seite bedarf es keiner besonders drastischer Reaktionen. Allerdings sollte man die Gelegenheit nutzen. Von Zeit zu Zeit muss man terroristische Strukturen zerstören, um den Tätern ihr Handeln zu erschweren.

Diese Strukturen werden allerdings, das weiß man in Israel, wieder neu entstehen, weil die palästinensische Gesellschaft Terror befürwortet. Wir haben das schon erlebt. Aber jetzt gibt es zumindest die Möglichkeit und die Legitimation, diese Strukturen wenigstens für eine gewisse Zeit unschädlich zu machen. Das tut Israel, auch wenn das nur eine Art Zwischenlösung ist, die das Problem des Terrorismus auf Dauer nicht beheben kann.

irrtum Der Mord an den entführten Jugendlichen hat in Israel Rufe nach Vergeltung, sogar nach der Todesstrafe laut werden lassen. Das ist emotional verständlich. Gleichwohl wäre es ein Fehler. Allerdings zeigt der Fall wieder einmal, dass die Freilassung von Terroristen, wie beim Gilad-Schalit-Deal, ein politischer Irrtum war. Gerade weil wir die Todesstrafe nicht anwenden, sollte sichergestellt werden, dass ein verurteilter Terrorist tatsächlich sein ganzes Leben hinter Gittern verbringt.

Zusammengefasst: So schrecklich der Mord an den Entführten ist – drastische Schritte sind jetzt weder notwendig noch angebracht. Der massive Einsatz der Armee in den vergangenen Wochen hat bereits Erfolge gezeitigt. Im Großen und Ganzen hat Israel die adäquate Antwort gegeben.

Das wird man in Europa und den USA wahrscheinlich anders sehen und Israel wieder einmal eine Politik der Eskalation vorwerfen. Im jüdischen Staat nimmt man solche Einwände schon lange nicht mehr ernst. Europäer und Amerikaner verstehen die Lage im Nahen Osten nicht. Sie sind gescheitert, wo auch immer sie dort etwas unternommen haben – die USA im Irak, die Europäer in Libyen. Schöne Aussichten hat man vielleicht in anderen Regionen der Welt, aber nicht im Nahen Osten.

Der Autor ist Sicherheitsexperte in Israel und beriet unter anderem Ariel Scharon und Yitzhak Rabin.

Washington D.C./Jerusalem

USA liefern Bomben nach Israel

Der Deal hat einen Wert von 680 Millionen Dollar (646 Mio. Euro).

 03.12.2024

Berlin

Bundestagsabgeordnete gründen Makkabi-Fanclub

Bei der offiziellen Auftaktveranstaltung zur Fanclub-Gründung am Mittwochmorgen im Bundestag wird auch der Präsident von Makkabi Deutschland, Alon Meyer, erwartet

von Stefan Meetschen  03.12.2024

Leipzig

Nach Absage von Vortrag: Uni Leipzig betont Freiheit der Wissenschaft

Gleichzeitig wird die Universität von zahlreichen Organisationen kritisiert

 03.12.2024

Hanau/Frankfurt am Main

Kommt ein ehemaliger KZ-Wachmann (100) doch vor Gericht?

Gregor Formanek müsste sich wegen Beihilfe zum Mord in 3.300 Fällen verantworten

 03.12.2024

«eXit»

Antisemitismus: Dutzende Autoren verlassen das frühere Twitter

Der Kurznachrichtendienst sei »toxisch« geworden, heißt es in einem offenen Abschiedsbrief

 03.12.2024

Berlin

AfD will sich von »Junger Alternative« trennen

Eine neue Jugendorganisation soll die als rechtsextremistisch eingestufte, alte Gruppierung ablösen

 03.12.2024

Nahost

Trump fordert von Hamas Freilassung der Geiseln - und stellt ein Ultimatum

Gerade erst hat das israelische Militär den Tod einer weiteren Hamas-Geisel bekanntgegeben. Da greift der künftige US-Präsident Trump in die Tasten - und setzt der Terrororganisation eine Frist

von Julia Naue  02.12.2024

Meinung

Die Universität Leipzig kuscht vor BDS-Anhängern

Die Absage eines Vortrags des Historikers Benny Morris legitimiert die Erpresserlogik israelfeindlicher Gruppen

von Chris Schinke  02.12.2024

Essay

Frieden ist möglich

Als junger Mann war unser Gastautor Ahmad Mansour Islamist. Heute glaubt er an eine Aussöhnung in Nahost. Zugleich ist er überzeugt: Die Pro-Palästina-Bewegungen im Westen sind ein Hindernis auf dem Weg dorthin

von Ahmad Mansour  02.12.2024