Fussball

»Rechtsextreme: im Stadion so viele wie in der Politik«

Reinhard Rauball Foto: Jochen Linz

Herr Rauball, heute beginnt in Brasilien die Weltmeisterschaft, und die politische Bedeutung des Fußballs lässt sich kaum leugnen. Inwieweit sehen die deutschen Profivereine einen gesellschaftlichen Auftrag für sich?
Wir haben diesen Auftrag – und wir haben uns auch selbst dazu verpflichtet, indem wir ihn in die Satzung des Ligaverbandes aufgenommen haben. Keine Frage: Der Ligaverband mit seinen 36 Klubs ist sich der hohen sozialen und gesellschaftspolitischen Bedeutung des Fußballsports bewusst. Das ist sogar in der Präambel des Ligaverbandes festgeschrieben. Wir kommen dieser Verantwortung durch eigene Aktivitäten nach, unter anderem auch durch die Tätigkeit der Bundesligastiftung.

Was hat die Profiklubs dazu gebracht, sich hier einzubringen?

Das Engagement des Fußballs hat mittlerweile eine Geschichte. Es begann 1993 mit »Mein Freund ist Ausländer«, der ersten größeren Aktion. Aber auch die jährlichen Erinnerungstage sind seit 2005 ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Damit setzen wir gemeinsam mit den Vereinen immer ein Zeichen für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsradikalismus. Das findet regelmäßig rund um den ersten Spieltag nach der Winterpause statt. Der Fußball hat seine Verantwortung deutlich verinnerlicht, wir können und werden die Augen vor bestimmten Dingen nicht verschließen. In der Saison 2006/07 haben wir beispielsweise die Aktion »Zeig Rassismus die Rote Karte« umgesetzt, auch daran nahmen die gesamte Bundesliga und auch die Zweite Bundesliga teil. 2012 verzichteten die 18 Bundesligisten sogar an einem kompletten Spieltag auf Trikotwerbung zugunsten der »Deutschland-Stiftung Integration«. Fußball funktioniert in dieser Hinsicht wie kaum ein anderer Bereich in der Gesellschaft: Wir haben 80.000 Spiele an jedem Wochenende – von der E-Jugend bis zu den Alten Herren. Aber auch mit Blick auf die professionellen Ligen – von der Dritten bis zur Ersten Liga – findet Integration wie selbstverständlich statt, auch wenn der Fußball nicht nur eine heile Welt ist.

Was Sie beschrieben haben, bezieht sich auf den Profifußball und Aktionen bei großen Spielen. Was können die Vereine leisten, wenn gerade kein Spieltag ist?
In Dortmund haben wir zum Beispiel zahlreiche Reisen und Erinnerungsveranstaltungen organisiert, bei denen unter anderem rund 40 junge Menschen für fünf Tage Auschwitz besucht haben. Sie waren 14, 15 oder 16 Jahre alt und haben so das erste Mal deutlich mitbekommen, was an diesem Ort des Grauens passiert ist. Außerhalb der 90 Minuten am Spieltag gibt es zum Beispiel auch die Aktion »Lernort Stadion«. Durch die Anbindung an den Fußball, zu dem man bereits einen Bezug hat, wächst die Bereitschaft, auch andere Dinge aufzunehmen. Bei uns in Dortmund gibt es außerdem jedes Jahr an Karfreitag eine Gedenkveranstaltung. 1945 wurden an diesem Tag viele Bürger und auch Vereinsmitglieder ermordet. Gewöhnlich wird die Veranstaltung von der Politik durchgeführt, im letzten Jahr hat Borussia Dortmund das im Schwerpunkt übernommen.

Trotz dieses Engagements ist der Rechtsradikalismus in deutschen Stadien immer noch präsent. Es scheint sogar, dass das Problem größer geworden ist.

Wir verschließen unsere Augen nicht davor. Wir sagen auch nicht, dass der Fußball da kein Problem hat. Ich bin zwar ein Gegner davon, es prozentual aufzurechnen. Aber es entbehrt nicht einer gewissen Zwangsläufigkeit, wenn man sich die Zahlen anschaut. Im Rat der Stadt Dortmund ist das rechte Spektrum auch nach der letzten Kommunalwahl vertreten. Da ist es nicht ganz abwegig zu sagen, dass sich bei uns im Stadion ein entsprechendes Abbild der Gesellschaft einfindet. Deswegen sage ich auch, dass ich furchtbar enttäuscht bin von der Haltung der Bundesregierung, den Verbotsantrag gegen die NPD beim Bundesverfassungsgericht nicht zu unterstützen. Man hat viele Jahre lang die Bürger mit Zivilcourage im Stich gelassen. Ich sage das immer wieder: Der erste Versuch der Bundesregierung, den Verbotsantrag erfolgreich durchzubringen, ist grandios gescheitert. Dann hat man zwar angefangen, zu prüfen und zu prüfen. Und schließlich hat man gesagt, man könne es nicht unterstützen. In diesen zehn Jahren wäre genug Zeit gewesen, um die Schwachstellen zu beheben.

Sie sagten jüngst, man müsse »voller Überzeugung den Anfängen entgegentreten«. Stehen wir in den Stadien noch am Anfang eines Rechtsrucks, oder ist man da nicht leider schon einen Schritt weiter?
In Dortmund sind wir nah dran und können verfolgen, was sich auf den Tribünen und den Anfahrtswegen tut. Das ist nicht immer schön, vorsichtig und milde ausgedrückt. Wir haben drei Möglichkeiten, die wir auch konsequent nutzen. Sofern Täter ermittelt werden, die rechtsextreme Parolen schreien oder Plakate zeigen, ahnden wir das mit Stadionverboten. Wenn diese Täter Mitglied im eingetragenen Verein sind, leiten wir ein Vereinsausschlussverfahren ein. Außerdem erstatten wir Strafanzeige. Das ist das, was wir tun können. Und wir ziehen das konsequent durch. Wir arbeiten auch gut mit der Polizei, den Fanprojekten, den Fanbeauftragten sowie der Fanabteilung zusammen, die dieses Thema sehr intensiv behandeln. Aber es gibt noch einen wichtigen Punkt, da sind wir noch nicht weit genug: Die überwiegende Masse der Fans, die dieses Gedankengut nicht pflegt, lehnt sich zu wenig dagegen auf. Wenn ich sage »zu wenig«, dann heißt das, sie tut es bereits. Aber es muss mehr werden. In Dortmund wurden Leute, die rechte Parolen gerufen haben, von Fans – auch aus der Ultra-Szene – niedergebrüllt. Wir haben allerdings auch einen kleinen Teil der Ultra-Szene, der rechtslastig ist. Da habe ich die Hoffnung, dass die Selbstreinigung weiter voranschreitet.

Bei der Masse der Menschen auf der Südtribüne in Dortmund ist es sicherlich möglich, solche Leute niederzubrüllen. Aber wie soll die Selbstreinigung in den Fanszenen kleinerer Klubs passieren, wenn sich etwa gleich große Gruppen gegenüberstehen, bei denen die Rechten aber meist körperlich überlegen sind?
Das kennen wir in Dortmund auch aus den 80er-Jahren, als die »Borussenfront« aktiv war. Damals kamen zeitweilig ungefähr 24.000 Zuschauer im Schnitt zu den Spielen. Da hatte eine kleine Gruppe mit Aggressionspotenzial eine größere Bedeutung und konnte das ausspielen. Eine Lösung für dieses Problem finden wir nicht am Reißbrett oder mit einem Patentrezept. Wir müssen bei den Wurzeln anfangen und dürfen in unseren Bemühungen nicht nachlassen. Mit drei oder vier Maßnahmen alleine bekommen wir das nicht in den Griff, diese Illusion haben wir nicht.

Welche Möglichkeiten gibt es, die Fans, die sich gegen Rechtsextremisten wehren, direkt zu unterstützen?

Der Ansatz, über Erziehung und Schule aufzuklären, ist enorm wichtig. An diesem Thema müssen wir arbeiten. Aber wir haben auch direkte Möglichkeiten: Anfang des Jahres wurde die Aktion »Pool zur Förderung innovativer Fußball- und Fankultur« (PFiFF) ins Leben gerufen und sofort mit 500.000 Euro durch die Liga unterlegt. Damit wollen wir auch Programme und Maßnahmen zur Bekämpfung rechtsextremer Tendenzen unterstützen. Denn das soll nicht am Finanziellen scheitern. Man kann Anträge stellen und ein Konzept einreichen, das von der DFL geprüft wird. Dann steht unser Pool zur Verfügung.

Was bekommen die Vereine oder der Verband von der Entwicklung des Rechtsradikalismus in den Kurven mit?
Wir haben das Problem, aber die genaue Größenordnung lässt sich nur schätzen. Es ist auch unterschiedlich von Stadion zu Stadion. Es gibt sicherlich Bereiche, die uns große Sorgen bereiten müssen. Eine Person, die bei uns im Ligaverband Verantwortung trägt, ist an einem Spieltag inkognito in einer der Städte gewesen, die zuletzt beim Thema Rechtsradikalismus im Fokus standen. Die Erfahrung war furchtbar. Das »Auschwitz-Lied« ist da nicht das Schlimmste gewesen, was er gehört hat. Und da waren auch etliche junge Leute dabei. Einen fragte er dann, warum er mitgesungen hat. Die Antwort: Das singen doch alle.

Dortmund gilt als eines der Positivbeispiele, wenn es um das Engagement gegen Rechtsextremismus geht. Viele andere Vereine haben bereits Schwierigkeiten, das Problem deutlich zu benennen. Angriffe von Neonazis auf Ultras werden als Auseinandersetzungen zwischen Fangruppen heruntergespielt; es werden allgemeine Erklärungen gegen Extremismus abgegeben. Was hindert viele Vereine, klare Worte zum Rechtsextremismus zu finden?
Das ist pauschal schwer zu sagen. Der Ligaverband und Borussia Dortmund wie auch andere Vereine fahren bisher gut damit, offensiv mit dem Thema umzugehen. Und wir werden auch von denen, die sich noch nicht so klar und lautstark zu Wort melden, darum gebeten, das weiterhin zu tun.

Könnten die Vereine, die sich nicht so klar äußern, auch Sorgen um einen Imageschaden haben?
Das ist sicher an der einen oder anderen Stelle ein Punkt. Man will nicht als Zentrum rechtsextremistischer Aktivitäten gelten. Ich bin aber zuversichtlich, dass die Positiv-Beispiele, die es ja zweifelsohne gibt, zunehmend übernommen werden. Wir wollen, können und müssen in unseren Bemühungen gegen Rechtsradikalismus aktiv bleiben.

Mit dem Präsidenten des deutschen Ligaverbands sprach Zlatan Alihodzic.

Reinhard Rauball
ist Präsident des Fußballbundesligisten Borussia Dortmund. Seit 2007 ist Rauball zudem Präsident des Ligaverbandes der 36 Profiklubs in Deutschland. Über die Deutsche Fußball-Liga ist der Ligaverband für die Vermarktung und Lizenzierung der ersten und zweiten Bundesliga zuständig Der Jurist Rauball vertrat außerhalb des Fußballs Sportler wie Katrin Krabbe oder Graciano Rocchigiani vor Gericht. Im Jahr 1999 war Rauball, der SPD-Mitglied ist, eine Woche lang Justizminister von Nordrhein-Westfalen, musste aber wegen umstrittener Notartätigkeiten zurücktreten.

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