Bei der Fußball-EM in Frankreich haben wir Fanausschreitungen einer neuen Qualität erlebt. Zumindest gilt das für das westeuropäische Fußballpublikum. Englische Bierbäuche trafen etwa in Marseille auf durchtrainierte Burschen aus Russland, deren Auftreten einer paramilitärischen Elitetruppe ähnelte. Noch besorgniserregender war allerdings, dass sich anschließend russische Politiker, Funktionäre und Journalisten mit den rechtsextremen Hooligans solidarisierten.
Für sie sind der Fußball und die ihn begleitende Gewalt Teil eines Kulturkampfes. Und die Schläger, die aus Marseille und den Innenstädten anderer französischer Städte Schlachtfelder gemacht haben, sollen dabei die Avantgarde sein. Beim Männersport Fußball soll dem Westen vorgeführt werden, wie wehrlos und verweichlicht seine multikulturellen Gesellschaften doch seien. »Schwul« und »jüdisch« sind gerne genommene Attribute, wenn das verhasste Objekt beschrieben werden soll.
Ustascha Der Einzug rechtsextremer Gewalt in die Stadien ist aber nicht allein ein russisches Phänomen: In Polen etwa sympathisiert der Chef des nationalen Fußballverbands, Ex-Fußballstar Zbigniew Boniek, ganz offen mit den Rechtspopulisten, und deren Partei »Recht und Gerechtigkeit« quittiert mit Wohlwollen den Patriotismus rechtsradikaler und gewaltbereiter polnischer Ultras. Für Kroatien steht als Kotrainer Josip Simunic in der Coaching-Zone; der ehemalige Profi von Hertha BSC ist ein bekennender Anhänger der faschistischen Ustascha-Bewegung.
Im Gegensatz zu den Mannschaften Russlands, Polens, Kroatiens und Ungarns haben viele der westeuropäischen Teams ein multikulturelles Gesicht. Dennoch wäre die Vermutung falsch, Nationalismus und Rassismus seien auf den Osten Europas beschränkt. Gerade diese Europameisterschaft ist Abbild des politischen Zustands Europas: Englische Fans werfen Münzen nach bettelnden Roma-Kindern.
Frankreich will seine kickenden Migrantenkinder nur bejubeln, wenn diese sich ordentlich benehmen und erfolgreich spielen. In Deutschland möchte ein älterer Tweedjackenträger nicht Jérôme Boatengs Nachbar sein und erhält dafür Einladungen in Talkshows. Argwöhnisch, viel argwöhnischer als noch vor zwei Jahren, wird beobachtet, ob Özil und Khedira die Nationalhymne mitsingen. In Lille feiern Rechtsextreme im Nationaltrikot die Wiederauferstehung der hässlichen Seite deutschen Fantums.
Oft ist die Rede vom Kommerz, der den Sport kaputt mache. Der größte Feind aber sind Nationalisten, Rassisten, Schwulenhasser und Antisemiten.
Der Autor ist Fußballhistoriker und Publizist