In Kurzform könnte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), das in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde, so lauten: Ausländerfeindlichkeit ist ein hässliches gesellschaftliches Phänomen, aber nicht alles, was hässlich ist, verletzt zugleich die Menschenwürde und gehört verboten. Die Karlsruher Richter hatten Anfang Februar entschieden, dass die Plakataufschriften »Ausländer-Rückführung« und »für ein lebenswertes deutsches Augsburg« keine Volksverhetzung darstellen und den Schutz der freien Meinungsäußerung genießen.
menschenwürde Abgeschlossen ist die Sache mit dem BVerfG-Urteil jedoch nicht. Es bleibt weiter umstritten, wo die Menschenwürde anfängt und wo sie aufhört. Die obersten Verfassungshüter monieren an den Urteilen der Vorinstanzen zwei Aspekte: Erstens hätten die Richter den Plakattext des Vereins »Augsburger Bündnis – Nationale Opposition« einseitig interpretiert. Man sei nur auf den verächtlich machenden Charakter eingegangen. Hingegen sei eine damit verbundene Kritik der Einwanderungspolitik nicht berücksichtigt worden. Zweitens hätten die Richter des Bayerischen Obersten Landgerichts die Tragweite der Meinungsfreiheit nicht ausreichend gewürdigt.
Das BVerfG prüft nur, ob die Vorinstanzen den Inhalt und die Tragweite von Grundrechten richtig erkannt und bewertet haben. Dann wird abgewogen: Was spricht für die Meinungsfreiheit auf der einen Seite? Was spricht für andere schützenswerte Güter, wie beispielsweise die Ehre, auf der anderen Seite? Ob die Vorinstanz das einfache Recht richtig anwendet, interessiert das BVerfG in der Regel nicht. Derartige Fehler soll der Gang durch die Instanzen aufdecken.
Freispruch Im Fall der Volksverhetzung ist es jedoch komplizierter: Denn die einschlägige Vorschrift (Paragraf 130 Absatz 2 Nr. 1 Buchstabe b des Strafgesetzbuches) setzt voraus, dass die Äußerung einen Angriff auf die Menschenwürde darstellen muss. Da die Menschenwürde hier nicht nur ein einfachgesetzlicher Begriff ist, sondern gleichfalls der archimedische Punkt des Grundgesetzes, entscheidet dessen Auslegung über Strafe oder Freispruch für die Verantwortlichen des Augsburger Bündnisses. Es ging dem BVerfG also gar nicht so sehr um die Frage: Was ist im Rahmen der Meinungsfreiheit erlaubt? Sondern vielmehr um die Frage: Wann verstößt eine Aussage gegen die Menschenwürde?
Bejaht man nämlich einen Verstoß gegen die Menschenwürde, so ist jede Abwägung obsolet, auch die mit der Meinungsfreiheit: Die Menschenwürde ist unabwäg- bar. Das ist gemeint, wenn es in Artikel 1 des Grundgesetzes heißt: »Die Menschenwürde ist unantastbar.« Durch die Unantastbarkeit ist sie der stärkste Trumpf unter den Grundrechten. Rechtlich ist der Schutzbereich, anders als etwa im allgemeinen Sprachgebrauch, relativ eng: Für eine Verletzung der Menschenwürde bedarf es eines Verhaltens, das den Subjektcharakter des Menschen prinzipiell in Frage stellt und ihn in einer Weise verächtlich macht, die ihn in seinem Persönlichkeitskern berührt.
geschmacklos Im Augsburger Fall hatten die Vorinstanzen entschieden, dass die Menschenwürde dadurch berührt sei, dass das Plakat suggeriere, Ausländer seien keine gleichwertigen Mitglieder der Gesellschaft. Dem BVerfG war das zu wenig: Eine Aussage wie »Ausländer-Rückführung« ohne Nennung weiterer Begleitumstände sei zu pauschal und allgemein. Aus ihr könne man noch nicht schließen, dass Ausländer entrechtet und zum Objekt gemacht werden. Ist das Plakat geschmacklos? Mit Sicherheit. Ist es beleidigend? Das wohl auch. Niemandem wird gerne bescheinigt, eine Stadt nicht lebenswert zu machen. Aber um Beleidigung geht es hier nicht. Verletzt diese Aussage die Menschenwürde? Das wohl noch nicht. Etwas anderes hätte sich erst ergeben, wenn Ausländer zusätzlich mit Parasiten oder Schweinekot verglichen worden wären, wie es zwei Gerichte schon mal entschieden haben.
Aus rechtlicher Sicht bewegt sich die Ansage einer Ausländer-Rückführung daher »nur« irgendwo zwischen politischer Geschmacklosigkeit und Ehrverletzung.