In der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament gibt es Bestrebungen, den ungarischen Abgeordneten Tamás Deutsch auszuschließen.
Dieser hatte eine Aussage des deutschen EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber (CSU) mit »den Methoden der Gestapo und des AVO« verglichen. Der AVO war in der Zeit des Kommunismus das ungarische Pendant zur Stasi.
Weber hatte zuvor mit Blick auf den geplanten Rechtsstaatsmechanismus in der EU gesagt, wer sich an Recht und Gesetz halte, müsse sich vor dem Mechanismus nicht fürchten. Das hatte vor allem in Ungarns Regierungspartei Fidesz, die nach wie vor Mitglied in der EVP ist, zu heftigem Widerspruch geführt.
ZOFF Am Mittwoch schrieben der österreichische EU-Parlamentarier Othmar Karas sowie 31 weitere christdemokratische Abgeordnete einen Brief an Weber, in dem sie die Aussagen ihres ungarischen Kollegen scharf missbilligten und Deutschs Ausschluss aus der Fraktion forderten. »Die Statements Deutschs, der er mehrfach wiederholt hat, sind schockierend und eine Schande«, so der Brief.
Allerdings unterzeichneten ihn nur zwei der 29 deutschen Mitglieder der Fraktion. Einige von ihnen sind zwar ebenfalls über das konfrontative Vorgehen Deutschs und die Attacken auf Weber erbost, halten aber die Austragung des Streits zwischen Weber und Deutsch in der Öffentlichkeit für kontraproduktiv. »Wenn diese beiden Zoff haben, warum muss Othmar Karas das gleich in die Öffentlichkeit tragen?« So sei eine gütliche Lösung nur noch schwieriger geworden, sagte ein deutscher Europaparlamentarier der Jüdischen Allgemeinen.
Erst vor zwei Tagen wurde bekannt, dass József Szájer, ein weiterer langjähriger Parteifreund und Vertrauter des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, am vergangenen Freitag in Brüssel bei einer wegen der Corona-Pandemie verbotenen Sex-Party aufgegriffen wurde.
Szájer wurde von der Brüsseler Polizei angehalten, als er versuchte, über die Regenrinne aus dem ersten Stock eines Gebäudes zu fliehen, in dem die Polizei 25 nackte Männer bei einer Orgie angetroffen hatte. Er leitete bislang die Parlamentsdelegation von Orbáns Fidesz-Partei, die er 1988 mitgegründet hatte. Am Sonntag legte Szájer dann sein Mandat nieder.
AUSFÄLLIGKEITEN Tamás Deutsch ist seit Langem für seine harsche und oft ausfällige Sprache bekannt. Über den ehemaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Gyurcsány sagte er einmal: »Es gibt hinterhältige Verrückte, es gibt eklige Spermien, es gibt widerliche Verfaulte, und dann gibt es dort noch Ferenc Gyurcsány.«
Die Forderung seiner Kollegen nach seinem Ausschluss aus der EVP-Fraktion sieht er als Beispiel von »Gewalt innerhalb einer politischen Familie«. Das zeige, so Deutsch auf der Fidesz-Webseite, »warum der bevorstehende ›rechtsstaatliche‹ Strafmechanismus mit allen Mitteln abgelehnt werden muss. Was einige jetzt gegen mich planen, werden sie auch gegen Ungarn versuchen zu tun«.
Sowohl Tamás Deutsch als auch József Szájer sind Veteranen der Fidesz-Partei. 1990 wurden beide in das erste demokratische Nationalparlament gewählt und übernahmen die Funktion von stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Deutsch diente von 1999 bis 2002 in der ersten Orbán-Regierung als Minister für Sport und Jugend, anschließend wurde er Vizepräsident des Parlaments. 2009 wechselte er schließlich nach Brüssel und Straßburg.
Der heute 54-jährige Deutsch ist in dritter Ehe mit der ehemaligen rhythmischen Sportgymnastin Erika Lazsányi verheiratet. Aus früheren Beziehungen hat er vier Kinder.
JÜDISCHE FAMILIE Im vergangenen Jahr war er Schirmherr der Maccabi-Spiele in Budapest, der Europameisterschaft jüdischer Sportler. Diese Woche traf Deutsch sich mit dem israelischen Botschafter in Ungarn, Yakov Hadas-Handelsman, um über ein Projekt zu sprechen, mit dem die historische Rolle ungarisch-jüdischer Sportler bekannt gemacht werden soll.
2015 sagte der Fidesz-Politiker in einem Interview: »Ich bin jüdischer Abstammung und natürlich stolz darauf. Die Familie meines Vaters war eine rein jüdische Familie, und meine Großmutter und mein Großvater waren Juden.« Sie hätten die Schoa überlebt, weil sie sich assimiliert hätten. Er sei elf Jahre alt gewesen, als er zum ersten Mal von seiner jüdischen Herkunft gehört habe.