Interview

»Rassismus nicht leugnen«

Dieter Graumann Foto: Rafael Herlich

Herr Graumann, am Dienstag fand der 100. Verhandlungstag des NSU-Prozesses am Oberlandesgericht München statt. Wie lautet Ihr vorläufiges Fazit?
Der Schock sitzt bei uns allen noch immer tief, dass dieses Monster-Trio jahrelang unerkannt mordend durchs Land ziehen konnte. Der Prozess zeigt uns sehr deutlich, dass die Sicherheitsarchitektur in Deutschland überarbeitet werden muss. Ich will bestimmt weder Verfassungsschutz noch Polizei pauschal verurteilen, aber bei der NSU-Mordserie zeigen sich doch Versäumnisse, die es in Zukunft unbedingt zu vermeiden gilt. Es ist wichtig, dass durch den Prozess unser aller Vertrauen – vor allem aber auch das Vertrauen der Angehörigen der Opfer – in die Behörden und letztlich in den Rechtsstaat wiederhergestellt wird.

Von Prozessbeobachtern werden Verharmlosungen beklagt, wenn zum Beispiel aus dem Umfeld der Rechtsextremisten zu hören ist, man sei nur »rechts angehaucht«. Kann das als symptomatisch gelten?
Es zeigt sich immer wieder, dass Rechtsextreme genügend Winkelzüge beherrschen, um sich aus schwierigen Situationen herauszuwinden. Manchmal profitieren sie leider auch von aus ihrer Sicht glücklichen Umständen. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade die Drei-Prozent-Hürde für die Europawahlen kassiert. Das halte ich für sehr bedenklich, da man es den Rechten nun erheblich leichter macht, ihre menschenverachtende Programmatik auf EU-Ebene zu übertragen. Und das gerade angesichts der zunehmenden Erstarkung von rechten Parteien in ganz Europa. Nun will die NPD auch noch die Fünf-Prozent-Hürde für den Bundestag angreifen. Wir sehen: Das Problem erledigt sich eben nicht von selbst. Ich weiß nicht, was es noch braucht, um alle demokratischen Parteien davon zu überzeugen, dass ein Verbot der NPD dringend notwendig ist.

Halten Sie es für möglich, dass staatliche Stellen Verantwortung mittragen dafür, dass die Morde geschehen konnten?
Eine Mitschuld will ich den Behörden sicher nicht zuschreiben. Die Verantwortung tragen allein die Täter. Doch überdeutlich ist auch geworden: Die Vorurteile in der Gesellschaft gegenüber Menschen mit ausländischen Wurzeln sitzen so tief, dass die rechtsextreme Handschrift der Morde viel zu lange übersehen wurde. Wir dürfen Rassismus – und auch Antisemitismus – nicht leugnen oder kleinreden, er ist da, quer durch die Gesellschaft.

Im Februar hat der Europarat – in dessen Bericht auch auf die Pannen bei der Aufklärung der NSU-Morde hingewiesen wird – Deutschland zu einem schärferen Vorgehen gegen Fremdenfeindlichkeit aufgefordert. Eine berechtigte Forderung?
Bund, Länder und Kommunen müssen auf jeden Fall ihre Anstrengungen fortsetzen und möglichst vergrößern. Organisationen, die sich gegen Rassismus engagieren, verdienen viel mehr und kontinuierliche Unterstützung. Aber wir alle sind doch gefordert, gegen Hass und für Toleranz in unserer Gesellschaft mit mehr Herz und Leidenschaft zu kämpfen.

Mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden sprach Detlef David Kauschke.

USA

Wer Jude ist, bestimmt nun er

Donald Trump wird immer mehr wie der berühmt-berüchtigte Wiener Bürgermeister Karl Lueger

von Michael Thaidigsmann  16.03.2025 Aktualisiert

Analyse

Die Umdeutler

Die AfD will die deutsche Geschichte verfälschen. Künftig kann sie ihr Ziel noch konsequenter verfolgen

von Sebastian Beer  16.03.2025

In eigener Sache

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

Ein Editorial von JA-Chefredakteur Philipp Peyman Engel

von Philipp Peyman Engel  16.03.2025 Aktualisiert

Berlin

Joschka Fischer nennt mögliche Verhaftung Netanjahus »absurd«

Der frühere Außenminister stimmt CDU-Chef Friedrich Merz zu: Der israelische Ministerpräsident müsse Deutschland unbehelligt besuchen können

von Imanuel Marcus  16.03.2025

Berlin

Staatsanwaltschaft: Deutlich mehr antisemitische Straftaten

Im vergangenen Jahr wurden 756 Fälle registriert

 16.03.2025

Brüssel

Früherer EJC-Chef Kantor von EU-Sanktionsliste gestrichen

Die Streichung des russisch-britischen Geschäftsmanns erfolgte offenbar auf Druck der ungarischen Regierung

 14.03.2025

New York

Im Trump Tower: Demo gegen Abschiebung eines Israelfeindes

Die USA wollen einen israelfeindlichen Aktivisten abschieben. Noch gab es kein Gerichtsverfahren, das Weiße Haus sieht sich im Recht. Jetzt gab es Protest – an einem symbolträchtigen Ort

 14.03.2025

Solidarität

»Wir haben Potter als einen mutigen Journalisten kennengelernt«

Der Journalist Nicholas Potter ist seit Wochen das Ziel einer Rufmordkampagne, initiiert von einem dubiosen Propaganda-Portal und befeuert von antiisraelischen Aktivisten. Jetzt äußert sich der Zentralrat der Juden

von Nils Kottmann  14.03.2025 Aktualisiert

Sachsen-Anhalt

Polizei verhindert möglichen Anschlag auf Synagoge Halle

Der Tatverdächtige soll bereits eine Waffe besorgt und im Internet mit seinem Plan geprahlt haben

 13.03.2025 Aktualisiert