Herr Klein, Sie haben eine Absage der drei Berliner Rammstein-Konzerte ins Spiel gebracht. Wer wäre befugt, abzusagen?
Wenn Angriffe auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu erwarten sind, dann können die Innenbehörden entsprechende Verbote aussprechen. Deswegen rate ich, wie bei den Konzerten von Roger Waters, zur Wachsamkeit. Wir dürfen bei Frauenverachtung, Antisemitismus, Volksverhetzung oder mutmaßlichen körperlichen Gefahren für junge Menschen nicht wegsehen.
Gerichte haben sich hinter die Konzerte von Roger Waters gestellt. Warum sollten sie das bei Till Lindemann nicht tun? Gegen ihn wird wegen Tatvorwürfen »aus dem Bereich der Sexualdelikte und der Abgabe von Betäubungsmitteln« ermittelt. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Ich möchte keine Vorverurteilung vornehmen, aber trotzdem dürfen wir es nicht hinnehmen, Dinge, die im Raum stehen, unwidersprochen zu lassen. Wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass Straftaten zu erwarten sind, dann muss die öffentliche Verwaltung tätig werden. Kunst- und Kulturfreiheit gelten nicht grenzenlos.
Was sollten Veranstalter und Fans tun?
Weder Veranstalter noch Fans dürfen einfach zur Tagesordnung übergehen. Bewiesen sind sie bislang nicht, aber die Vorwürfe gegen die Band wiegen schwer. Es reicht nicht, dass nur ein paar Aftershow-Partys abgesagt werden. Junge Menschen müssen auf Konzerten geschützt werden, dafür steht besonders der Veranstalter in der Pflicht.
Braucht es nicht eher Awareness-Konzepte und Diskussionen statt Verbote?
Das eine schließt das andere ja nicht aus. Von der Musikindustrie und der Band habe ich jedenfalls noch keine Konzepte in Richtung Aufarbeitung gehört.
2019 haben Sie das Rammstein-Video »Deutschland« kritisiert, das Bandmitglieder als KZ-Gefangene zeigt. Damals haben Sie keine Konzertabsage gefordert. Warum jetzt?
Ich habe dieses Video kritisiert, weil es um eine Verschiebung roter Linien ging. Auch das Internationale Auschwitz Komitee hatte damals protestiert. Auf viele Überlebende hat das Video wie ein Schlag ins Gesicht gewirkt. Das Video war geschmacklos, aber ich habe darin keine Straftat gesehen. Jetzt hat es mich nicht weiter überrascht, dass bei Schoa-relativierenden oder -verzerrenden Narrativen auch Frauenverachtung im Spiel sein kann. In jedem Fall muss die Perspektive der Betroffenen gehört werden.
Yad Vashem kritisierte 2019 nicht generell den künstlerischen Umgang mit dem Holocaust, doch dieser dürfe nicht die Erinnerung an die Schoa verhöhnen und nur der öffentlichen Aufmerksamkeit dienen.
Das ist natürlich Ansichtssache. Für mich war das Video eher Heischen nach Aufmerksamkeit auf Kosten der Opfer der Schoa, aber auch das ist schon verwerflich genug.
Mit dem Antisemitismusbeauftragten des Bundes sprach Ayala Goldmann.