Iran

Raketen auf Israel

Der Angriff der Mullahs ist ebenso historisch wie dessen Abwehr und könnte auch für Deutschland Konsequenzen haben

von Michael Thaidigsmann  18.04.2024 09:25 Uhr

Eines von über 500 Geschossen: Trümmerteile einer iranischen Rakete stürzten ins Tote Meer. Foto: REUTERS

Der Angriff der Mullahs ist ebenso historisch wie dessen Abwehr und könnte auch für Deutschland Konsequenzen haben

von Michael Thaidigsmann  18.04.2024 09:25 Uhr

Es war ein Angriff mit Ansage. Nach dem von Israel verübten Schlag gegen hochrangige Mitglieder der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) in Damaskus hatte der oberste Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, angekündigt, der Iran werde dafür Vergeltung üben. Schließlich sei bei dem Bombardement in der syrischen Hauptstadt, bei dem zwei IRGC-Brigadegeneräle und offenbar auch mehrere Vertreter palästinensischer Terrororganisationen ums Leben kamen, ein Konsulat und damit iranisches Territorium angegriffen worden.

Ob sich das iranische Vorgehen damit rechtfertigen lässt, ist völkerrechtlich umstritten. In welcher Form der vermeintliche Gegenschlag erfolgen würde, ließ die Führung des Iran bis zuletzt offen. Bis dato hatte das Regime direkte Schläge gegen israelisches Staatsgebiet stets vermieden und stattdessen auf die vom Iran gelenkte Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon oder auf die von Teheran mitfinanzierte sunnitische Hamas in Gaza gesetzt.

Schabbat und Shahed-Drohnen

Am späten Samstagabend – der Schabbat in Israel war gerade zu Ende gegangen – verbreiteten sich in Windeseile Meldungen, denen zufolge zahlreiche Shahed-Drohnen in Richtung Israel unterwegs seien. Die Angriffsdrohne wird im Iran selbst gebaut und ist aufgrund ihrer recht simplen Bauweise weit verbreitet. Einmal abgefeuert, kann das unbemannte Fluggerät aber nicht mehr zurückgerufen werden.

Neben den knapp 200 Drohnen wurden auch 120 ballistische Raketen sowie 30 Marschflugkörper Richtung Israel abgefeuert. Insgesamt entsprach die Sprengkraft der Geschosse rund 85 Tonnen TNT. Der überwiegende Teil kam aus Zentral­iran. Aber auch die verbündeten Milizen der Hisbollah im Libanon und in Syrien sowie der Huthi im Jemen feuerten rund 200 Geschosse ab.

In Jerusalem heulten gegen 1.30 Uhr Ortszeit am Sonntagmorgen die Sirenen. Auf dem Tempelberg filmte ein Augenzeuge, wie die israelische Raketenabwehr gleich mehrere Drohnen abschoss. Im Hintergrund des Videos ist der Felsendom zu sehen.

Die meisten Geschosse und Drohnen – und das war für viele Beobachter durchaus überraschend – wurden jedoch noch vor Eintritt in den israelischen Luftraum neutralisiert. Das amerikanische Militär, aber auch Großbritannien, Frankreich, Jordanien und sogar Saudi-Arabien leisteten bei der Abwehr des Angriffs ganze Arbeit, unter anderem mit Kampfflugzeugen. So seien 99 Prozent der Geschosse unschädlich gemacht worden, teilte die israelische Armee am Sonntag zufrieden und auch ein bisschen stolz mit.

Dennoch gab es zwei Opfer. Eine Zehnjährige wurde durch herabfallende Trümmerteile schwer verletzt, wie die israelische Hilfsorganisation Magen David Adom mitteilte. Eine Siebenjährige wurde von einem Schrapnell getroffen. Ein Geschoss schlug auf dem Luftwaffenstützpunkt Nevatim ein, auf dem F-35-Tarnkappenjäger stationiert sind. Nach Angaben der israelischen Armee wurden aber nur leichte Schäden registriert. Die Funktionsfähigkeit des Stützpunktes sei dadurch nicht beeinträchtigt worden.

Ben-Gurion-Flughafen nimmt Betrieb wieder auf

Auch der Flughafen Ben Gurion südöstlich von Tel Aviv, der gegen Mitternacht vorübergehend geschlossen worden war, konnte bereits acht Stunden später den Flugbetrieb wiederaufnehmen.

US-Präsident Joe Biden gab anschließend eine Erklärung ab, in der er Israel lobte. Der jüdische Staat habe seine »bemerkenswerte Fähigkeit gezeigt, noch nie zuvor da gewesene Angriffe abzuwehren«. Das sende eine klare Botschaft an Israels Feinde aus, dass sie die Sicherheit des Landes nicht wirklich in Gefahr bringen könnten.

Sogar Saudi-Arabien half bei der Abwehr der Raketen und Drohnen aus dem Iran.

Für den deutschen Nahostexperten Gerhard Conrad war der iranische Luftangriff auf Israel »ebenso präzedenzlos wie – aufgrund der komplexen alliierten Luftverteidigung – erfolglos«. Gleichwohl, sagte der ehemalige BND-Agent und Verhandler zwischen Hisbollah und Israel, stelle die Attacke »eine neue militärische Realität« dar.

Conrad glaubt aber nicht, dass die iranische Führung ein Interesse daran hat, das Land in einen größeren Krieg mit Israel zu verwickeln. »Die Aussicht, dass man es dann mit schweren und wirkungsvollen Bombardements zu tun bekäme, ist nämlich real. Die iranische Luftabwehr und die Raketenabwehr sind, soweit das von außen beurteilt werden kann, eher schwach«, so Conrad.

Selbst für den Fall, dass Teheran Israel treffen würde, würden die Schäden und Verluste auf der iranischen Seite ungleich schwerwiegender ausfallen. »Das wiederum würde die Stabilität des Regimes und seine Behauptungsfähigkeit gegenüber der iranischen Bevölkerung erheblich belasten. Die hat sich zunehmend vom System und seinen Repräsentanten abgewandt.«

Israels Reaktion auf die Angriffe des Iran

Israels Armeestabschef Herzi Halevi kündigte am Montag eine Reaktion auf die Angriffe des Iran an. »Der Abschuss so vieler Raketen, Marschflugkörper und Drohnen auf israelisches Territorium wird eine Antwort nach sich ziehen«, sagte Halevi. Wie das geschehen werde, deutete er noch nicht an. Von den westlichen Verbündeten Israels kamen dagegen deutliche Warnungen, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen.

Bundesaußenministerin Annalena Baer­bock (Grüne) flog am Dienstag kurzerhand erneut zu Gesprächen nach Israel. Es ist bereits ihr siebter Besuch seit dem 7. Oktober. Und auch Baerbocks Kollegin, Innenministerin Nancy Faeser (SPD), reagierte prompt. Sie befürchtet nämlich Auswirkungen des Konflikts auf die Sicherheitslage in Deutschland. Dem »Redaktionsnetzwerk Deutschland« sagte Faeser: »Die Spirale, dass Eskalationen im Nahen Osten zu noch mehr widerwärtigem Judenhass bei uns führen, müssen wir durchbrechen.«

Die Sicherheitsbehörden seien deshalb angewiesen worden, dem Schutz von israelischen und jüdischen Einrichtungen in Deutschland höchste Priorität beizumessen. Aus Sicherheitskreisen heißt es jedoch, dass es bisher keine konkreten Anzeichen für unmittelbare Anschlagspläne gebe.

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