Ein Schokoladenpudding macht Schlagzeilen. Ein Schoko-Sahne-Pudding, um genau zu sein. In Israel hat er den Markennamen »Milky«. Er ist zu einem Symbol geworden, nachdem Exil-Israelis auf Facebook darüber informierten, dass dieser in Berliner Supermärkten wesentlich weniger kostet als in Tel Aviv.
Es fehlten auch nicht die Hinweise auf Preise für andere Lebensmittel, wie sie in deutschen Discountern verlangt werden. Belegt wurde das mit einem Kassenzettel vom letzten Aldi-Einkauf – und gleich noch mit einer Provokation ergänzt. Die »Olim Berlin« rufen dazu auf, ihnen in Massen zu folgen: Auf nach Berlin, weg von den »absurd hohen Lebenshaltungskosten in Israel«!
Moralskala Ausgerechnet Berlin ... Gleich folgten empörte Kommentare, wie unverständlich es sei, dass rund 70 Jahre nach der Schoa Israelis ins Land der Täter gehen, als wäre nichts passiert. Doron Cohen, der frühere Generaldirektor im Jerusalemer Finanzministerium, glaubte sogar, darin den Tiefpunkt auf der Moralskala ausmachen zu können. Und Bildungsminister Schai Piron meinte, es würde sehr problematisch werden, wenn die Zugehörigkeit zum Staat Israel nur noch von wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit abhinge.
Warum die Aufregung? Schließlich handelt es sich nicht um ein Massenphänomen. Ja, es gibt Tausende Israelis, die in den letzten Jahren Berlin für sich entdeckt haben: Studenten, Künstler, Geschäftsleute, freie Geister. Die jüngere Generation hat kaum Berührungsängste mit der Vergangenheit. Und die Stadt hat ja auch viel zu bieten. Aber Berlin ist nicht das neue Jerusalem und wird es auch so schnell nicht werden. Die deutsche Hauptstadt wird international irgendwann wieder an Anziehungskraft verlieren. Inzwischen finden nicht wenige Israelis Warschau schon viel cooler.
Natürlich gibt es etliche Israelis, die ihr Glück im Ausland suchen. Aber die Zeiten, in denen sie gleich des Verrats am Vaterland oder an der zionistischen Idee bezichtigt werden, sollten vorbei sein.
Glück Ich selbst habe einen guten Freund, der kürzlich nach Berlin gezogen ist. Ihm war das Leben in Israel zu schwierig, die Lebenshaltungskosten zu hoch, auch eine berufliche Perspektive hat er im Heiligen Land nicht gesehen. Ich wünsche ihm viel Glück in der neuen Heimat, bleibe aber hier – wie die meisten anderen.
Wir haben es nicht immer leicht, das stimmt. Preise wie in der Schweiz, Gehälter wie in Albanien – so könnte man unsere Lage überspitzt skizzieren. Auch mir ist es unverständlich, warum manche Produkte des Grundbedarfs so empörend überteuert sind oder warum israelische Erzeugnisse im Ausland oft sogar preiswerter angeboten werden als in Israel.
Dass nun ausgerechnet in diesen Tagen, in denen die Knesset über den Jahreshaushalt 2015 debattiert, die Preisdiskussion wieder besonders intensiv geführt wird, ist nicht verwunderlich. Schließlich kommt Finanzminister Yair Lapid aus der Bewegung der Sozialproteste. Er forderte damals bessere Lebensbedingungen und wetterte gegen Israelis, die es sich in Europa gemütlich gemacht hätten. Solch ein Verhalten sei postzionistisch oder gar antizionistisch, sagt er nun wieder.
Wir erinnern uns an 2011, als Lapid noch nicht in der Politik war: Damals wurde der überteuerte Hüttenkäse zuerst zum Wahrzeichen eines kleinen Protestes, der sich dann zu Massendemonstrationen ausweitete. Allein in Tel Aviv beteiligten sich 300.000 Menschen an Kundgebungen. Man forderte zunächst preiswerte Milchprodukte, dann Wirtschafts- und Sozialreformen und schließlich eine gerechtere Gesellschaftsordnung.
IS Damals unterbreitete eine von der Regierung eingesetzte Kommission unter dem Wirtschaftsprofessor Manuel Trajtenberg Vorschläge, wie Israel zu mehr sozialer Gerechtigkeit finden könnte. Mehrere Milliarden Schekel für Sozialprogramme wurden gefordert. Die hätten aus dem Verteidigungsetat kommen können, dem größten Posten im Staatshaushalt.
Doch das, warnten Sicherheitsexperten, würde in der aktuellen Lage eine existenzielle Bedrohung Israels darstellen. Hamas in Gaza, Hisbollah im Libanon, IS auf den Golanhöhen – auch diesmal wird es in dem von Lapid zu verantwortenden Etat mehr Geld für die Armee und weniger für Soziales geben.
Trajtenberg warnt unterdessen vor neuen Demonstrationen, weil die Protestler von gestern merkten, dass sich bis heute nichts verbessert hat. Er hält es für eine echte Gefahr, wenn für viele junge Leute Berlin inzwischen attraktiver sei.
Ich sehe das nicht so, aus den genannten Gründen. Und der Schokopudding wird auch nicht zum Symbol neuer Sozialproteste werden. Nur wenige sprechen – und das eher augenzwinkernd – von einer möglichen »Milky-Revolution«. Israel hat andere Sorgen. Es ist letztlich doch eher ein Sturm im Wasserglas – oder besser: im Puddingbecher.
Der Autor ist Korrespondent der Onlinezeitung »The Times of Israel«.