Schoa

Prozess in Lüneburg

Gleise in den Tod: Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau Foto: Marco Limberg

Die »New York Times« nannte den heute 93-jährigen Oskar Gröning den »Buchhalter von Auschwitz«. Gröning war 1944 in dem Vernichtungslager tätig. Es war die Zeit, als im Rahmen der »Ungarn-Aktion« vor allem magyarische Juden in das Lager deportiert wurden. Gröning stand damals an der Rampe: Er nahm den Menschen, die ankamen, ihr Gepäck ab, durchsuchte es nach Geld und sandte dies an die zentralen SS-Behörden in Berlin. 425.000 Juden aus Ungarn kamen 1944 nach Auschwitz, über 300.000 wurden in dem Lager ermordet.

Gröning wird Beihilfe zum Mord an 300.000 Männern, Frauen und Kindern vorgeworfen. Lange hat die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt, bevor sie im September endlich Anklage erhob. »Wir haben sehr intensiv in Archiven recherchiert«, sagt Kathrin Söfker, die Sprecherin der Behörde. Dass es nach Erhebung der Anklage noch fast ein halbes Jahr dauern wird, bis der Prozess im Frühjahr beginnen kann, habe seine Gründe in der Überlastung des Lüneburger Landgerichts.

Dessen Sprecherin, die Richterin Frauke Albers, sagte bereits im Herbst der Jüdischen Allgemeinen, Prozesse, bei denen die Angeklagten in U-Haft säßen, hätten Vorrang. Ex-SS-Mann Gröning lebe aber zu Hause, da bestehe kein Grund für einen Haftbefehl. Daher verzögere sich der Prozessbeginn.

verjährung Thomas Walther findet es völlig unverständlich, dass es bis zum Jahr 2015 dauert, um den Prozess gegen Gröning zu beginnen. Walther vertritt als Anwalt 46 der 49 Nebenkläger im anstehenden Prozess. Früher arbeitete er bei der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. 2008 wirkte er an der Vorbereitung des Verfahrens gegen John Demjanjuk mit, damit die bloße Tätigkeit im KZ als Beihilfe zum Mord bewertet werden konnte – und nicht verjährte.

Schon damals, vor sechs Jahren, sagt Walther, hätten alle Kräfte darauf konzentriert werden müssen, die noch lebenden Täter zu verfolgen. Doch es wurde bis zum Urteil gegen Demjanjuk 2011 gewartet. Aus der zunächst 50 Täter umfassenden Liste wurde eine mit 30 Namen. Nun sind noch drei Verfahren anhängig: eines davon ist das gegen Gröning in Lüneburg.

nebenkläger Die Nebenkläger, die Walther zusammen mit anderen Anwälten vertritt, sind überwiegend Auschwitz-Überlebende. Sie kamen meist als Jugendliche in das Lager. »Die Eltern und neun Geschwister eines Mandanten von mir wurden damals innerhalb von drei Stunden vergast«, erzählt Walther. »Man wollte sie nicht als Arbeitssklaven in der Bombenfabrik von Dynamit-Nobel haben. Es gab an der Rampe nicht einmal die Möglichkeit, sich zu verabschieden.«

Obwohl sie alt und oft sehr krank sind, wollen viele der Nebenkläger im Frühjahr nach Lüneburg zu dem auf 20 Verhandlungstage angesetzten Prozess kommen. »Meine Mandanten erwarten, gehört zu werden, und sie erwarten einen Dialog mit dem Gericht, der Justiz und dem Angeklagten«, sagt Walther. »Sie wollen, dass man ihnen zuhört und sich in ihr Leben unter dem Stern des Todes hineinfühlt. Diese Menschen schauen jeden Tag auf die wenigen Fotos von ihren Eltern und Geschwister und brechen in Tränen aus, wenn sie über das Geschehene sprechen. Sie wollen gehört werden und darüber reden, was das alles für ihr Leben bedeutete, was es mit ihnen gemacht hat.«

verantwortung Was den Prozess von vielen anderen unterscheidet, ist der Angeklagte. »Oskar Gröning steht zu seinen Taten und ist bereit, Verantwortung zu übernehmen«, gibt Walther wieder, was dessen Verteidiger zugesichert haben. Gröning wolle sich nicht, wie es Demjanjuk versucht hatte, als prozessunfähig aus dem Verfahren stehlen.

In der Vergangenheit hatte Gröning mehrfach über seine Zeit in Auschwitz gesprochen. Nazis, die behaupteten, es habe nie Gaskammern in Auschwitz gegeben, widersprach er. Thomas Walther: »Gröning hat immer klargemacht, dass seine Taten in Auschwitz für ihn eine Belastung waren. Rechtlich hat er sich jedoch nicht schuldig gefühlt und die Arbeit der Justiz vor Demjanjuk hat ihm dies auch über Jahre signalisiert.« Der Prozess beginnt vermutlich im März.

Bundeswehr

Kamerad Rabbiner

Seit 2021 sind jüdische Seelsorger großflächig im Einsatz. Der Bedarf ist enorm, die Lage angespannt. Unterwegs mit den Militärrabbinern Oleg Portnoy und Nils Ederberg

von Helmut Kuhn  22.12.2024

Gazelle Sharmahd

»Deutschland muss aufhören, immer alles falsch zu machen«

Die Tochter des im Iran getöteten Deutschen Jamshid Sharmahd wirft der Bundesregierung eine gescheiterte Iran-Politik vor. Ein Interview

von Michael Thaidigsmann  22.12.2024

Meinung

Eine Replik von Eva Menasse auf Lorenz S. Beckhardts Text »Der PEN Berlin und die Feinde Israels«

von Eva Menasse  21.12.2024

Debatte

Nach Eklat in Darmstadt: Felix Klein vermisst hassfreien Raum für palästinensisches Leid

Antisemitismusbeauftragter: Verständnis für palästinensisches Leid wird vereinnahmt

 20.12.2024

Meinung

Der AfD-Claqueur

Elon Musk hat sich als Unterstützer der AfD geoutet. Das sollte seinen Anhängern in Deutschland eine Warnung sein

von Michael Thaidigsmann  20.12.2024

Meinung

Der PEN Berlin und die Feinde Israels

In der Schriftstellervereinigung konnte eine Resolution BDS-naher Autoren gerade noch abgewendet werden. Alles gut also? Nicht wirklich

von Lorenz S. Beckhardt  20.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Debatte

Darmstadt: Jetzt meldet sich der Pfarrer der Michaelsgemeinde zu Wort - und spricht Klartext

Evangelische Gemeinde erwägt Anzeige wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024

Hessen

Nach Judenhass-Eklat auf »Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt«: Landeskirche untersagt Pfarrer Amtsausübung

Nach dem Eklat um israelfeindliche Symbole auf einem Weihnachtsmarkt einer evangelischen Kirchengemeinde in Darmstadt greift die Landeskirche nun auch zu dienstrechtlichen Maßnahmen

 19.12.2024