Der Prozess gegen den Attentäter von Halle wird am heutigen Dienstag in Magdeburg fortgesetzt. Die Nebenklagevertreter werden den 28-Jährigen zunächst weiter befragen, wie ein Sprecher des Oberlandesgerichts Naumburg am Montag mitteilte. Zudem sollen weitere Videos vom Tatgeschehen gezeigt werden.
Ein Ermittlungsbeamter ist als erster Zeuge geladen. In den ersten beiden Prozesstagen hatte Stephan B. ein umfangreiches Geständnis abgelegt und keinen Hehl aus seiner antisemitischen und rassistischen Einstellung gemacht.
Es gibt in dem Verfahren 43 Nebenkläger. Insgesamt sind 147 Zeugen benannt.
Stephan B. hatte am 9. Oktober 2019 einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt, zwei Menschen erschossen und weitere verletzt. Die Bundesanwaltschaft hat ihn wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie wegen weiterer Straftaten angeklagt.
JOM KIPPUR Aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Motivation heraus soll er versucht haben, mit Sprengsätzen und Schusswaffen in die abgeschlossene Synagoge zu gelangen, um möglichst viele Juden zu töten. Zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur hielten sich dort 52 Beter auf. Weil er die Tür zum Gelände nicht öffnen konnte, scheiterte sein Plan. Er erschoss eine 40-jährige Frau vor der Synagoge und einen 20-jährigen Mann in einem Döner-Imbiss.
Es gibt in dem Verfahren 43 Nebenkläger, die von 21 Rechtsanwälten vertreten werden. Benannt sind 147 Zeugen, darunter 68 Ermittlungsbeamte. Unklar ist noch, ob die Familie des Angeklagten für Mittwoch als Zeugen geladen bleibt.
Der Angeklagte zeigte in den ersten Prozesstagen keinerlei Reue, Einsicht oder Bedauern.
Mutter, Vater und die Halbschwester von Stephan B. hatten schriftlich erklärt, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Stephan B. droht bei einer Verurteilung eine lebenslange Freiheitsstrafe. Zudem kommt eine anschließende Sicherungsverwahrung in Betracht.
Der Angeklagte zeigte in den ersten Prozesstagen keinerlei Reue, Einsicht oder Bedauern. Nebenkläger Ismet Tekin, Besitzer des »Kiez-Döners« in Halle, zeigte sich entsetzt über dieses Verhalten.
HERZ Tekin sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): »Er hat kein Herz im Körper, das merkt man.« In dem Döner-Imbiss unweit der Synagoge hatte der Rechtsterrorist einen 20-jährigen Gast erschossen. Für die weiteren Verhandlungstage wünscht sich Tekin, dass der Angeklagte den Gerichtssaal nicht mehr als Bühne nutzen darf, »um sich wichtiger zu machen als er ist«.
Tekin, der seit mehr als zwölf Jahren in Halle lebt, war damals Angestellter in dem Döner-Imbiss. An jenem 9. Oktober war er noch nicht im Laden. Als er auf dem Weg zur Arbeit die Straße entlang lief, schoss der Attentäter auch auf ihn.
»Der Anschlag ist ja schließlich nicht ’nur‹ ein individuelles Trauma, sondern ein politischer und gesellschaftlicher Einschnitt.«
Marina Chernivsky, Geschäftsführerin der Beratungsstelle OFEK
Für die Überlebenden des Anschlags ist der Prozess nach Überzeugung der Psychologin Marina Chernivsky von entscheidender Bedeutung bei der Bewältigung des traumatischen Erlebnisses.
»Die Überwindung eines Anschlags hängt sehr eng mit sozialen Faktoren zusammen, mit der Anerkennung durch die Mehrheitsgesellschaft und dem politischen Diskurs«, sagte die Geschäftsführerin der Beratungsstelle OFEK (hebräisch: Horizont) in Berlin dem epd: »Der Anschlag ist ja schließlich nicht ’nur‹ ein individuelles Trauma, sondern ein politischer und gesellschaftlicher Einschnitt.« Er habe im kollektiven Gedächtnis der jüdischen Community Spuren hinterlassen.