Meinung

Protektorat in den Köpfen

Die Zeit des sogenannten »Protektorats Böhmen und Mähren«, eine Art Halbstaat, den die Nazis den Tschechen aufgedrückt hatten, gehört seit 70 Jahren der Vergangenheit an. Oder auch nicht. Geschichte, gerade die zwischen 1938 und 1945, lebt für uns Tschechen auf eine seltsame Weise fort. Vor allem fühlen wir uns, wenn wir an die Zeit denken, als Opfer.

terror Denn tatsächlich war die Tschechoslowakei im Jahr 1939 das erste Land, das von Nazideutschland okkupiert wurde, und das Gebiet der Tschechischen Republik war auch das letzte Territorium, das befreit wurde. Zehntausende Tschechen kamen um, vor allem die tschechischen Juden wurden ermordet, auch die politische und militärische Elite des Landes wurde vernichtet. Auf der anderen Seite haben die Tschechen eine beinah masochistische Ader: Wir spotten etwa gerne über den Widerstand, den es hier gegen die Nazis gab – dabei war der gar nicht so zahnlos, wie viele glauben.

Es stimmt allerdings, dass es hier während der NS-Zeit relativ ruhig blieb, erst recht, wenn man uns mit Polen vergleicht. Das Protektorat war für Deutschland ein wichtiges Zentrum der Stahl- und Chemieindustrie. Daher versuchte das NS-Regime, die Arbeiter mit besseren Essensrationen und häufigerem Urlaub zu bestechen. Statt beim Widerstand mitzumachen, stellten viele tschechische Arbeiter eifrig die Waffen her, die gegen ihre künftigen Befreier eingesetzt wurden.

fragen Erst in jüngster Zeit werden unbequeme Fragen gestellt. Die NS-Zeit wurde zum großen Thema – nicht nur auf wissenschaftlichen Konferenzen, sondern in der gesamten Gesellschaft. Doch die Perspektive ängstigt: Es wird etwa ganz offen darüber diskutiert, ob der Mai 1945 wirklich eine Befreiung war oder nicht doch eher der Beginn einer neuen Diktatur.

In Hinblick auf unsere jüngste Geschichte ist die tschechische Gesellschaft gespalten. Das beweist schon der Umstand, dass es die Frage der Vertreibung der Deutschen 1945 war, die die letzte Präsidentschaftswahl entschieden hat. Seine Weigerung, die wilde Vertreibung zu kritisieren, sorgte dafür, dass Miloš Zeman die nötigen Stimmen erhielt, um Präsident zu werden. Vor diesem Hintergrund spielt auch das im Ausland für Irritation sorgende Fernsehformat »Urlaub im Protektorat«.

Wir Tschechen wissen, wie kompliziert unsere Geschichte ist. Aber wenn die Stunde der Wahrheit schlägt, tun wir so unschuldig, als wären wir ein neugeborenes Kind.

Der Autor ist Kommentator beim tschechischen Radio.

Interview

»Niemand soll jetzt die Hände in Unschuld waschen«

Michel Friedman über seinen Austritt aus der CDU, die Debatte um Friedrich Merz und die Bedeutung von Glaubwürdigkeit in der Politik

von Michael Thaidigsmann  30.01.2025

Frankfurt am Main

»Antisemitische Reaktion« im Studio des Hessischen Rundfunks

Die deutsch-israelische Informatikexpertin Haya Schulmann erhebt schwere Vorwürfe gegen eine Moderatorin und die Redaktion des Hessischen Rundfunks

von Imanuel Marcus  30.01.2025 Aktualisiert

Frankfurt

»Unentschuldbares Machtspiel«: Michel Friedman tritt aus CDU aus

Friedrich Merz habe mit der Abstimmung im Bundestag die »Büchse der Pandora« geöffnet, so der Publizist

 30.01.2025

Geiselabkommen

Sorge um das Schicksal der verbliebenen deutschen Geiseln

Tut die Bundesregierung genug für ihre verschleppten Staatsbürger in Gaza? Kritiker haben daran Zweifel

von Detlef David Kauschke  30.01.2025

Studie

Wann war die AfD bei Abstimmungen wichtig?

Die AfD hat im Bundestag für eine Mehrheit des Unionsantrags für schärfere Migrationspolitik gesorgt. Es ist nicht das erste Mal, dass sie Mehrheiten beschafft

 30.01.2025

Vandalismus

CDU-Geschäftsstellen in Dortmund und Lünen beschmiert

Zuvor wurde eine Schützenhalle im Sauerland besprüht. Die Taten stehen mutmaßlich im Zusammenhang mit einem Unionsantrag, der mithilfe von AfD-Stimmen im Bundestag verabschiedet wurde

 30.01.2025

Debatte

Holocaust-Überlebende Eva Umlauf: »Tun Sie es nicht, Herr Merz«

Eva Umlauf hat als kleines Mädchen das NS-Vernichtungslager Auschwitz überlebt. Sie richtet einen direkten Appell an die Union, nicht mit der AfD zu stimmen

 30.01.2025

Berlin

NS-»Euthanasie«-Opfer erhalten Anerkennung durch den Bundestag

Die Nationalsozialisten ließen massenhaft Patienten und Insassen von Heil- und Pflegeanstalten sowie von »rassisch« und sozial unerwünschten Menschen ermorden

 30.01.2025

Freiburg

Jüdische Gemeinde sieht »untragbare Lage« an Albert-Ludwigs-Universität

In einem offenen Brief an Rektorin Kerstin Krieglstein heißt es, jüdische Studenten würden ausgegrenzt. Das ist offenbar nur die Spitze des Eisbergs

von Imanuel Marcus  30.01.2025