Der Bundesbeauftragte gegen Antisemitismus fand gleich zu Beginn der Pressekonferenz in Köln am Freitagvormittag deutliche Worte. »Es hat in jüngster Zeit einige sehr problematische Urteile und Beurteilungen seitens der Gerichte und Staatsanwaltschaften in Bezug auf Antisemitismus gegeben«, sagte er.
BHAKDI Namentlich sprach der Bundesbeauftragte für jüdisches Leben den Fall Sucharit Bhakdi an. Die Kieler Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren gegen den Mediziner wegen möglicher Volksverhetzung vergangene Woche eingestellt (die Jüdische Allgemeine berichtete). Am Donnerstag kündigte der Generalstaatsanwalt in Schleswig-Holstein aber an, die Ermittlungen wiederaufzunehmen.
Klein machte deutlich, was er von dem Einstellungsbeschluss der Kieler Staatsanwälte hielt: ganz und gar nichts. Bhakdi, als Coronaskeptiker Idol für viele Anhänger der Querdenken-Bewegung, habe »in schlimmster Weise und auch strafrechtlich relevant gegen Juden gehetzt« und »schlimmste antisemitische Parolen gegen Juden öffentlich von sich gegeben«, sagte Klein. Der Fall zeige einmal mehr, dass es in der Justiz große Unsicherheit gebe und mehr Sensibilität notwendig sei, meinte Klein.
TREFFEN Dazu habe die Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten von Bund und Ländern, die sich in Köln trafen, auch konkrete Beschlüsse gefasst, so Klein. Seit 2019 gibt es regelmäßige Treffen dieser Beauftragten. Am Donnerstag tagte die Runde in der Kölner Synagoge. Bewusst habe man diesen Ort ausgewählt, sagte die nordrhein-westfälische Beauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Einen Schwerpunkt der Diskussion nahm die Arbeit der Ermittlungsbehörden und Gerichte. »Die Justiz spielt eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Antisemitismus«, betonte Leutheusser-Schnarrenberger. Die Ex-Bundesjustizministerin stellte sechs zentrale Forderungen der Beauftragten vor.
Nur 20 Prozent der von antisemitischen Vorfällen betroffenen Personen erheben einer Studie zufolge Anzeige bei der Polizei. Das müsse sich ändern. »Betroffene müssen Vertrauen in die Justiz haben«, forderte Leutheusser-Schnarrenberger. Zudem wollen die Beauftragten, dass künftig keine Ermittlungsverfahren wegen Antisemitismus mehr aus Opportunitätsgründen eingestellt werden.
WEITERBILDUNG Staatsanwälte müssten auch mit antisemitischen Codes und Stereotypen sowie den unterschiedlichen Ausprägungen von Antisemitismus besser vertraut gemacht werden. Die Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten will deshalb erreichen, dass allen Ermittlern im Land ein Leitfaden zum Erkennen judenfeindlicher Straftaten zur Verfügung gestellt wird.
Zudem forderte das Gremium bei seinem Treffen in Köln auch die »systematische verpflichtende Verankerung der Befassung mit Antisemitismus in der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Richtern, Staatsanwälten und anderen Angehörigen der Justiz«. Ausdrücklich, so Leutheusser-Schnarrenberger, müsse dies nicht nur für angehende Richter eingeführt werden, sondern auch für andere Justizmitarbeiter.
Die Bund-Länder-Kommission bat außerdem die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zu prüfen, wie flächendeckend sichergestellt werden könne, dass den Staatsanwaltschaften Antisemitismusbeauftragte berufen werden. Außerdem verlangten das Gremium auch die Umsetzung der kürzlich vorgestellten Antisemitismus-Strategie der EU im Justizbereich.
KOALITIONSVERTRAG Als Gastreferenten zu dem Treffen eingeladen waren unter anderem die Antisemitismusbeauftragten der Staatsanwaltschaften in Bayern und in Berlin, Andreas Franck und Claudia Vanoni, sowie der Leiter der Zentralstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen bei der Staatsanwaltschaft Köln, Markus Hartmann. Auch der Journalist und Rechtsexperte Ronen Steinke nahm an den Beratungen teil.
Felix Klein ging in seinem Statement auch auf den gestern veröffentlichten Koalitionsvertrag ein – und lobte einige Passagen darin ausdrücklich, darunter die Ankündigung eines Demokratiefördergesetzes. »Außenpolitisch ist es sehr zu begrüßen, dass die Ampelparteien sich stark machen wollen gegen antisemitisch motivierte Verurteilungen Israels in den Vereinten Nationen«, sagte er. Auch zum Thema NS-Raubkunst seien positive Aspekte in dem Regierungsprogramm enthalten, so Klein.
KANZLERAMT Er freue sich ausdrücklich auch auf die Zusammenarbeit mit der designierten Staatsministerin für Kultur und Medien, der Grünen-Politikerin Claudia Roth, so Klein. Roth wird im Kanzleramt angesiedelt sein. Dorthin zieht es auch Felix Klein: Seine eigene Arbeit sei eine Querschnittsaufgabe, deshalb sollte sie besser ebenfalls in der Regierungszentrale beheimatet sein. Aktuell ist Klein im Bundesinnenministerium angesiedelt.
Weiteren Verschärfungen des Strafrechts schließen weder Leutheusser-Schnarrenberger noch Klein grundsätzlich aus. Man werde sehen, ob das Strafrecht ausreichend sei, und habe dies bei dem Treffen auch diskutiert, sagte die ehemalige Justizministerin.
VOLKSVERHETZUNG Auf Nachfrage, ob sie angesichts der Vorgänge in Kiel eine Verschärfung des Volksverhetzungsparagraphen im Strafgesetzbuch befürworte, antwortete Leutheusser-Schnarrenberger: »Wir sollten jetzt sehen, dass dieser Paragraph 130 und die anderen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs konsequent angewendet werden und sich das Strafmaß entsprechend ausrichtet.«
Nicht alle Gerichte kämen im Einzelfall zum selben Schluss. Deshalb sei ein Leitfaden sinnvoll, damit die Maßstäbe einheitlich angelegt würden. Klein schloss sich dem an. Die bestehenden Gesetze müssten mit Leben gefüllt werden. Der Paragraph 130 sei schwer zu handhaben. »Antisemitismus per se fällt unter die Meinungsfreiheit und kann deshalb kein Straftatbestand sein. Das ist eine Gesinnung, und Gesinnungen können nicht bestraft werden«, fügte er an.