Im April wird die Bundesregierung den 2. Bericht der »Expertenkommission Antisemitismus« vorlegen. Ein Grund zu bilanzieren, was eigentlich aus den Empfehlungen des ersten Berichtes geworden ist. Das Ergebnis ist nicht berauschend, im Gegenteil: Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage hierzu ist ein politischer Offenbarungseid.
Aus ihr geht hervor, dass ein Großteil der Empfehlungen unzureichend umgesetzt wurde. Die Koordination mit den Ländern etwa scheint beim Kampf gegen Antisemitismus eine völlige Leerstelle zu sein: Weniger Koordination, Engagement und Überblick war selten. Es ist zudem unklar, wer in der Bundesregierung federführend zuständig sein will.
priorität Diese unzureichende Umsetzung ist angesichts des erwarteten 2. Berichts, der neue Empfehlungen enthalten wird, mehr als bedenklich. Als Parlamentarier alarmiert mich das. Die Implantierung der Empfehlungen muss prioritäres Thema bei der Diskussion des 2. Berichtes werden. Wir brauchen nachhaltige Schritte statt Lippenbekenntnisse und formelhafte Verurteilungen des Antisemitismus.
Alle vier Jahre ein neuer Expertenkreis, dessen Empfehlungen dann ignoriert werden – das kann es nicht sein. Wenn die Regierung ernsthaft Antisemitismus bekämpfen will, braucht sie eine solide Faktenbasis. Auch hier hapert es. Es ist bezeichnend, dass ein zivilgesellschaftliches Projekt wie RIAS nötig war, damit die Berliner Polizei ihre Zahlen der Realität angepasst hat. Eine stärkere Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure kann aber nicht an den Grenzen Berlins haltmachen. Sie ist bundesweit erforderlich.
israelkritik Auch fehlt noch immer eine offizielle Antisemitismusdefinition, die auch Israel-»Kritik« umfasst; bislang wird die Bedeutung des Antizionismus für die Verbreitung von judenfeindlichen Ressentiments regierungsamtlich nicht hinreichend erkannt. Antisemitismus aber ist in Deutschland nicht nur in der extremen Rechten, bei Islamisten oder Verschwörungstheoretikern anzutreffen, sondern in allen Teilen der Gesellschaft.
Um endlich nachhaltiger und effektiver gegen Antisemitismus vorgehen zu können, braucht es eine neue institutionelle Antwort: Erfahrungen, Instrumente und Aktivitäten müssen gebündelt und das Zusammenwirken von Behörden und Zivilgesellschaft zentral koordiniert werden.
Der Autor ist religionspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.