Das wird man ja wohl noch sagen dürfen! Oder eben nicht? Kaum eine Phrase ist so sehr zum internationalen Kampfbegriff geworden wie »political correctness« (pc) – politische Korrektheit. Für ihre Gegner handelt es sich um unerträgliche linke Vorschriftenmacherei, während Befürworter darauf beharren, dass vor allem Minderheiten ein Recht darauf haben, nicht diskriminiert zu werden.
Vor diesem Hintergrund erscheint eine aktuelle Umfrage besonders heikel, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und des Deutschen Hochschulverbandes Anfang Februar veröffentlichte. Darin ging es insbesondere um das »Meinungsklima« an deutschen Universitäten.
Vorurteile Allensbach hatte dazu Ende 2019 insgesamt 1106 Interviews mit Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern geführt. Während 93 Prozent angaben, die Freiheit der Wissenschaft sei hierzulande »hoch« oder »sehr hoch«, gelten für eine Minderheit der Befragten aber auch jede Menge Vorurteile. 27 Prozent der Befragten gaben an, dass es ihrer Meinung nach erlaubt sein müsse, den Islam als Religion pauschal abzulehnen. 20 Prozent – also ein Fünftel der deutschen Hochschullehrer – finden, dass die Ablehnung des Staates Israel erlaubt sein müsse. Sieben Prozent meinen, dass das Grundgesetz abgelehnt werden dürfe.
Rund 79 Prozent der Universitätsprofessoren finden sogar, dass die Einladung eines Rechtspopulisten erlaubt sein müsse – wobei 74 Prozent der Uni-Dozenten davon ausgehen, dass eine solche Einladung auf Widerstand stoßen würde: entweder bei der Universitätsleitung oder den Studierenden. Die Befragten gaben an, sich im Arbeitsalltag »eingeschränkt« zu fühlen. Würde hingegen ein Linkspopulist eingeladen, rechnen nur 21 Prozent der Hochschullehrer mit Ablehnung und negativen Reaktionen. 84 Prozent der Befragten würden außerdem eine solche Einladung befürworten.
KRITIK Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch sieht die Umfrage allerdings nicht ganz unkritisch. »Es wird eine Reihe von Punkten zu den Bedingungen von universitärem Arbeiten abgefragt, wie etwa Bürokratie und Verwaltungsaufwand. Warum dann – wie nebenbei – aber auch in diesem Rahmen nach der Debattenkultur gefragt wird, ist schon etwas merkwürdig«, findet der Linguist.
Denn: »So ein Thema wie Arbeitsbedingungen erzeugt natürlich schlechte Laune, und wenn man politische Korrektheit in so einen Kontext mit hineinbringt, bekommt man womöglich krassere Antworten, als man sie normalerweise erhalten würde.« Andererseits hätten in dieser Umfrage nur 13 Prozent der Befragten angegeben, dass politische Korrektheit ihre Arbeit beeinträchtige.
Die heutige Sprache entstand zu einer Zeit, die man als rassistisches, antisemitisches Patriarchat bezeichnen muss.
Im Übrigen seien gerade Professoren auch in puncto Meinungsfreiheit »viel privilegierter als andere Beamte«, denn man könne zum Beispiel öffentlich sagen, was man möchte – solange es keinen ganz klaren Anschein gibt, dass man sich mit dem Gesagten außerhalb der Verfassung befindet.
Im Gegensatz zu den USA würden in Deutschland trotz häufiger Klagen über politische Korrektheit allerdings sehr selten Veranstaltungen etwa von Rechtspopulisten auch wirklich verhindert. »An amerikanischen Privat-Universitäten kommt eine Absage durch die Uni häufig vor, aber das liegt daran, dass Studierende durch die hohen Studiengebühren eine wichtige Einkommensquelle sind und daher Proteste eher ernst genommen werden.« Es bestehe ein »fragiles Gleichgewicht zwischen intellektueller Freiheit und unternehmerischer Kundenorientiertheit«.
BDS In Deutschland hingegen sei es eher so, dass Veranstalter umstrittene Auftritte absagen, »wenn sie das Gefühl haben, dass die Durchführung zu kontrovers werden könnte, wobei zum Beispiel Rechtspopulisten kommentarlos eine Bühne zu bieten, nun auch nicht Aufgabe einer Universität ist«.
Ein Gegenbeispiel sei allerdings die Absage einer Vorlesung des AfD-Gründers Bernd Lucke. »Da ging es wirklich um die Person, der Inhalt seiner Vorlesung wäre Volkswirtschaftslehre gewesen«, sagt Stefanowitsch. Das sieht Volker Beck anders. »Auch der Privatmann ist Grundrechtsträger. Und auch Herr Lucke sollte – am besten vor leerem Hörsaal – seine Vorlesung halten dürfen.«
Politische Korrektheit ist die Modernisierung des sprachlichen Anstands.
Etwas anderes sei es jedoch, findet der Grünen-Politiker, wenn ausgewiesene »Israelkritiker« wie Norman Finkelstein oder Georg Meggle »mit Sonderveranstaltungen auch noch herausgehoben werden«. Denn aus Becks Sicht macht es einen Unterschied, »ob man einen Vertreter abseitiger Positionen am Katheder plappern lässt oder ihn mit extra beworbenen Veranstaltungen vorstellt und seine Positionen unterstreicht«.
Beck bezieht sich dabei vor allem auf eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel »Wer ist Antisemit – eine philosophische Begriffserklärung« an der Berliner Humboldt-Uni, zu der die Universität als Hauptreferent den emeritierten Leipziger Philosophieprofessor Georg Meggle eingeladen hatte. Meggle ist umstritten, weil er als scharfer Kritiker Israels und als Unterstützer der gegen den jüdischen Staat gerichteten BDS-Bewegung gilt.
Über die Haltung der Universitätsleitung sei er entsprechend »intellektuell enttäuscht und regelrecht empört«, sagt Beck. »Wenn man die Antisemitismusverharmlosung des Professors Meggle zu einem wertvollen akademischen Debattenbeitrag umdichtet und den Unterschied zwischen einem einfachen Reden-Lassen und der Präsentation bei einer Veranstaltung zu verschwiemeln sucht, wird man dem wissenschaftlichen Erbe des Namen Humboldt nicht gerecht.«
FREIHEIT Aber ist politische Korrektheit überhaupt wichtig? Ja, sagt der Berliner Journalist und »Spiegel«-Kolumnist Sascha Lobo. Denn sie anzuwenden, bedeute, »denjenigen Veränderungen der Gesellschaft, die die Wiener Philosophin Isolde Charim ›Liberalisierung‹ nennt, auch sprachlich Rechnung zu tragen – zum Beispiel, indem man diskriminierende Worte endlich als solche erkennt und nicht-diskriminierende Alternativen benutzt«.
Wenn ausgewiesene »Israelkritiker« wie Norman Finkelstein oder Georg Meggle »mit Sonderveranstaltungen auch noch herausgehoben werden«, ist das schwierig.
Politische Korrektheit sei »die Modernisierung des sprachlichen Anstands«, meint Lobo. Denn die heutige Sprache sei »zu einer Zeit entstanden, die man als rassistisches, antisemitisches Patriarchat bezeichnen muss. Anklänge daran finden sich in allen Winkeln der Sprache«.
Der Ansatz der Gegner dieser Entwicklung sei dagegen, »die dahinterstehende Erzählung umzudrehen« – und die Freiheit, jemanden sprachlich zu diskriminieren, für wichtiger zu halten, als die Freiheit der betroffenen Menschen, nicht diskriminiert zu werden.