Erinnerung

Polen, Israel und Deutschland erinnern an Ghettoaufstand in Warschau

Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Heute wird in Warschau an den Aufstand im dortigen jüdischen Ghetto gegen die nationalsozialistischen Besatzer erinnert. Als erster Repräsentant Deutschlands wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Rede bei der offiziellen Gedenkfeier in der polnischen Hauptstadt halten.

Am Denkmal für die Helden des Ghettos in Warschau werden zudem der polnische Präsident Andrzej Duda und der israelische Präsident Isaac Herzog sprechen. Der Beginn des Aufstands im Warschauer Ghetto, mit dem sich die jüdischen Bewohner 1943 gegen ihre Deportation in Vernichtungslager zur Wehr setzten, jährt sich an diesem Mittwoch zum 80. Mal.

Für Steinmeier wird es eine ähnlich schwierige Rede werden wie Anfang 2020 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel. Dort bekannte er sich vor der Weltgemeinschaft klar zur deutschen Schuld am Holocaust und sagte den Schutz jüdischen Lebens zu.

»So etwas erwarte ich von ihm jetzt wieder und damit auch, dass aus einer solchen Rede auch ein Aufrütteln der Gesellschaft hervorgeht«, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster.

»Wir sehen leider, dass Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassisismus auch in Deutschland zunehmen. Dagegen ein klares Zeichen zu setzen, gerade auch an dieser Stelle, wäre wichtig«, betonte Schuster. »Ich erwarte mir von der Rede des Bundespräsidenten zudem, dass die Bedeutung des selbstbestimmt Jüdischen in der Geschichte und dadurch auch in der Gegenwart klarer wahrgenommen wird.« Schuster begleitet Steinmeier in Warschau, den Duda zu einer Rede eingeladen hatte.

Vor seiner Abreise am Dienstagnachmittag nach Warschau äußerte Steinmeier Dankbarkeit für die Versöhnung zwischen Polen und Israel mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Es sei ihm eine besondere Rede, am Mahnmal in Warschau das Wort ergreifen zu können, sagte er.

Steinmeier sprach von einem »Wunderwerk der Versöhnung« im doppelten Sinn. Bis heute sei es ein Wunder, »dass Jüdinnen und Juden, Polinnen und Polen uns Deutschen nach den Verbrechen unserer Vorfahren überhaupt die Hand gereicht haben«. Zugleich sei dies das Werk von Generationen, »eine lange und mühevolle politische Arbeit von Israelis, Polen und Deutschen, die nach der furchtbaren Vergangenheit eine gemeinsame Zukunft geplant und errichtet haben«.

Steinmeier wird am Mittwoch in Warschau weitere Termine wahrnehmen, die im Zeichen der Geschichte und der deutsch-polnischen Aussöhnung stehen. Geplant sind unter anderem ein Gespräch mit Zeitzeugen sowie die Teilnahme an einem Gottesdienst in der Nozyk-Synagoge, die als einziges jüdisches Gotteshaus in Warschau den Zweiten Weltkrieg überstand. Vor der Rückreise nach Berlin will Steinmeier zudem ein Konzert israelischer und polnischer Musikerinnen und Musiker besuchen.

Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, wird nach Warschau reisen. »Die Verantwortung, mit der der Bundespräsident seiner Rolle nachkommt, beeindruckt mich. Ich sehe hier eine Chance für die Zukunft. Das Gedenken an den Warschauer Ghettoaufstand muss fest in den deutschen Kanon der Geschichte des Zweiten Weltkrieges verankert werden«, erklärte Schuster am Dienstag in Berlin.

Als die Nazis am 19. April 1943 die letzten Bewohner des jüdischen Ghettos in Warschau in die Vernichtungslager deportieren wollten, wehrten sich die Menschen des abgeriegelten Gebiets. Deutsche Polizei-, Wehrmachts- und SS-Einheiten gingen mit großer Härte gegen die bewaffneten Aufständischen vor und sprengten ganze Häuserzeilen. Mitte Mai hatten sie den Widerstand gebrochen und das Ghetto fast vollständig zerstört. Rund 56.000 Menschen wurden bei den Kämpfen getötet oder wurden deportiert.

An den Widerstand der Unterdrückten und Verfolgten erinnert in Warschau heute das »Denkmal der Helden des Ghettos«, vor dem am Mittwoch die Gedenkfeierlichkeiten stattfinden werden. Als 1970 der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) bei einem Besuch in Polen vor dem Mahnmal niederkniete, ging das Bild um die Welt und als wichtige Versöhnungsgeste in die Geschichte ein.

Steinmeier will am Rande des Gedenkens auch bilaterale Gespräche mit Duda und Herzog führen. Sein Besuch in Polen fällt in eine schwierige Zeit. Im Herbst wird hier ein neues Parlament gewählt. Die nationalkonservative Regierungspartei PiS schürt auch anti-deutsche Ressentiments und geht damit auf Stimmenfang. Immer wieder beliebt ist dabei die - von Deutschland strikt zurückgewiesene - Forderung nach Reparationen für die im Zweiten Weltkrieg erlittenen Schäden.

Erst am Dienstag verabschiedete Polens Regierung eine Resolution, welche die Regelung der Reparationsfrage zu einer Notwendigkeit in den beiderseitigen Beziehungen erklärte. Sie sei die formale Antwort auf die diplomatische Note, mit der Berlin die Reparationsforderungen Polens abgelehnt habe, sagte der Vize-Außenminister und Reparationsbeauftragte Arkadiusz Mularczyk. Dass die Entschließung wenige Stunden vor Steinmeiers Ankunft in Warschau gefasst wurde, ließ sich aus deutscher Sicht allerdings auch als diplomatische Provokation werten. epd/dpa/ja


Analyse

Die Umdeutler

Die AfD will die deutsche Geschichte verfälschen. Künftig kann sie ihr Ziel noch konsequenter verfolgen

von Sebastian Beer  16.03.2025

USA

Wer Jude ist, bestimmt nun er

Donald Trump wird immer mehr wie der berühmt-berüchtigte Wiener Bürgermeister Karl Lueger

von Michael Thaidigsmann  16.03.2025 Aktualisiert

In eigener Sache

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

Ein Editorial von JA-Chefredakteur Philipp Peyman Engel

von Philipp Peyman Engel  16.03.2025 Aktualisiert

Berlin

Joschka Fischer nennt mögliche Verhaftung Netanjahus »absurd«

Der frühere Außenminister stimmt CDU-Chef Friedrich Merz zu: Der israelische Ministerpräsident müsse Deutschland unbehelligt besuchen können

von Imanuel Marcus  16.03.2025

Berlin

Staatsanwaltschaft: Deutlich mehr antisemitische Straftaten

Im vergangenen Jahr wurden 756 Fälle registriert

 16.03.2025

Brüssel

Früherer EJC-Chef Kantor von EU-Sanktionsliste gestrichen

Die Streichung des russisch-britischen Geschäftsmanns erfolgte offenbar auf Druck der ungarischen Regierung

 14.03.2025

New York

Im Trump Tower: Demo gegen Abschiebung eines Israelfeindes

Die USA wollen einen israelfeindlichen Aktivisten abschieben. Noch gab es kein Gerichtsverfahren, das Weiße Haus sieht sich im Recht. Jetzt gab es Protest – an einem symbolträchtigen Ort

 14.03.2025

Solidarität

»Wir haben Potter als einen mutigen Journalisten kennengelernt«

Der Journalist Nicholas Potter ist seit Wochen das Ziel einer Rufmordkampagne, initiiert von einem dubiosen Propaganda-Portal und befeuert von antiisraelischen Aktivisten. Jetzt äußert sich der Zentralrat der Juden

von Nils Kottmann  14.03.2025 Aktualisiert

Sachsen-Anhalt

Polizei verhindert möglichen Anschlag auf Synagoge Halle

Der Tatverdächtige soll bereits eine Waffe besorgt und im Internet mit seinem Plan geprahlt haben

 13.03.2025 Aktualisiert