Nur selten erlebt ein Staat ein solches Desaster seiner Außenpolitik wie zurzeit Polen. Wegen seiner Kritik an dem Gesetz »Zum Schutz des guten Rufes Polens« hat die Warschauer Regierung nun den Besuch des israelischen Bildungsministers Naftali Bennett abgesagt. Ein Affront, den der Minister mit einem abgewandelten Bibelzitat beantwortete: »Das Blut polnischer Juden schreit aus dem Boden, und kein Gesetz wird es zum Schweigen bringen.«
Der Originalsatz ist am Warschauer Denkmal des Umschlagplatzes eingemeißelt. Von hier deportierten die Nazis 300.000 Warschauer Juden nach Treblinka. Mit dem Bibelzitat »Ach Erde, bedecke nicht mein Blut, auf dass mein Wehklagen keine Ruhestätte finde!« waren bislang nur die ungeheuren Verbrechen, die Deutsche und Österreicher an jüdischen Polen verübt hatten, gemeint.
unterschrift Doch nun gilt der Satz auch für die Verbrechen derjenigen Polen, die mit den Nazis kollaborierten oder Juden eigenhändig umbrachten. Bennett sollte sowohl über polnische Judenretter als auch über »Schmalzowniks« (Judenverräter) sprechen, über gute und schlechte Taten also. Doch seine Kritik genügte zur Ausladung. Polens Präsident unterschrieb mittlerweile das Gesetz.
Wer künftig »öffentlich und entgegen den Tatsachen dem polnischen Volk oder dem polnischen Staat die Verantwortung oder Mitverantwortung für die durch das Dritte Reich begangenen Naziverbrechen (…) oder für andere Straftaten, die Verbrechen gegen den Frieden, die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen darstellen« zuschreibt, »unterliegt einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren«.
Das Problem: Es geht gar nicht um den missverständlichen Ausdruck »polnisches KZ«, sondern um tatsächliche polnische Verbrechen, über die künftig auch Schoa-Überlebende nicht mehr sprechen oder schreiben dürfen. Tun sie es doch, können sie demnächst von Nachfahren der polnischen Täter verklagt werden. Nicht nur Israel ist entsetzt.
Die Autorin ist freie Journalistin in Warschau.