Ist die Tatsache, dass man einen Text nur kurzzeitig auf seiner Website verlinkt hatte, Ausdruck für eine nicht vorhandene Identifizierung mit den Inhalten, oder steht seine Löschung eher in Zusammenhang mit der Kritik daran?
Über die Beantwortung dieser Frage gibt es gerade verschiedene Ansichten, und zwar die von Hans-Jürgen Abromeit, dem Vorsitzenden des Jerusalemsvereins und bis 2019 Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, sowie von Personen, die solche Vorgänge eher als problematisch bewerten, allen voran Volker Beck, Grünen-Politiker und Lehrbeauftragter an der Ruhr-Universität Bochum.
netzwerk Stein des Anstoßes ist ein im Dezember kurzzeitig auf der Seite des Jerusalemsvereins des Berliner Missionswerks verlinkter »Weihnachtsaufruf aus Bethlehem 2020«, verfasst von Kairos-Palestine, einem ökumenischen Netzwerk von christlichen Palästinensern.
Denn der fromme Aufruf von Kairos-Palestine hat es in sich. »Gott veranlasste drei nichtjüdische Weisen, einem Stern/Komet zu folgen, um Zeuge eines wundersamen Ereignisses zu werden, das den Lauf der Geschichte verändern würde«, schreibt darin Yousef Alkhouri, Dozent für Biblische Studien am Bethlehem Bible College.
»Während die alten Juden blind waren, die Zeichen des Himmels zu sehen und die Geburt ihres Königs zu erkennen, öffnete Gott den arabisch-nabatäischen Weisen die Augen.« Juden als »blind« zu bezeichnen, weil sie die christliche Botschaft nicht akzeptieren würden, liest sich wie ein Rückfall in finstere, längst überwunden geglaubte Zeiten, als die pauschale Ablehnung des Judentums aus religiösen Motiven bei Katholiken und Protestanten noch zum Konsens gehörte.
PALÄSTINENSER Doch abgesehen von dem »platten Antijudaismus«, so Volker Beck, der in diesen Zeilen enthalten ist, finden sich in dem Weihnachtsaufruf auch zahlreiche Zitate aus dem Text »Schrei nach Hoffnung«, verfasst am 1. Juli 2020. Eines davon lautet folgendermaßen: »Wir erklären, dass die aktive oder passive Unterstützung der Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch Schweigen, Worte oder Taten eine Sünde ist. Wir erklären, dass die christliche Unterstützung des Zionismus als Theologie und Ideologie, die das Recht eines Volkes legitimiert, die Menschenrechte eines anderen Volkes aber verleugnet, mit dem christlichen Glauben unvereinbar ist und einen schweren Missbrauch der Bibel darstellt.«
Die darin zum Ausdruck kommende Ablehnung des Zionismus erlaubt schon die Frage, ob da jemand mit dem Existenzrecht Israels nicht doch ein Problem hat.
An anderer Stelle werden Passagen aus »Ein Moment der Wahrheit«, dem 2009 verfassten Schlüsseldokument von Kairos-Palestine, wiedergegeben. Und diese lesen sich wie ein Aufruf zum Boykott Israels nach den Vorstellungen der BDS-Bewegung: »Deshalb fordern wir eine Antwort auf das, was die zivilen und religiösen Institutionen, wie bereits erwähnt, vorgeschlagen haben: den Beginn eines Systems von Wirtschaftssanktionen und Boykott, das gegen Israel angewandt werden soll.«
ISRAEL Und schaut man sich den im Weihnachtsaufruf auszugsweise zitierten »Schrei nach Hoffnung« einmal in ganzer Länge an, dann zeigt sich die hochproblematische Weltsicht von Kairos-Palestine. Denn seine Verfasser wähnen sich darin in der Tradition eines Pfarrers Dietrich Bonhoeffer oder der Barmer Theologischen Erklärung von 1934. Das wiederum impliziert die Auffassung, dass das Israel von heute mit dem Deutschland der 30er-Jahre zu vergleichen sei.
Der fromme Aufruf von Kairos-Palestine offenbart eine hochproblematische Weltsicht.
Der Jerusalemsverein, allen voran Altbischof Abromeit, wehrt sich nun gegen die Vorwürfe, man habe antijudaistische Inhalte unterstützt. Die kurzzeitige Verlinkung des Weihnachtsaufrufs auf der eigenen Website bedeute auch im juristischen Sinne nicht, »dass man sich mit allen Inhalten, die durch diesen Link erreichbar sind, identifiziert«, betonte er gegenüber dem Evangelischen Pressedienst.
Abromeit selbst habe sich bereits mehrfach in der Vergangenheit von der BDS-Bewegung distanziert. Das Ziel von Kairos-Palestine sei zudem nicht die Vernichtung Israels, sondern eine gerechte Versöhnung »für beide Seiten«.
GERÜCHT Doch auch hier dürfen Zweifel angemeldet werden. Denn Atallah Hanna, Erzbischof von Sabastia und einer der Autoren des Weihnachtsaufrufs, hatte noch 2019 das Gerücht in die Welt gesetzt, die Israelis hätten einen Giftanschlag auf ihn verübt. Und in der Vergangenheit gab es bereits zwischen ihm und dem griechisch-orthodoxen Patriarchen von Jerusalem handfesten Streit, weil Hanna dem Selbstmordterror der Palästinenser keine Absage erteilen wollte – Versöhnung dürfte wohl anders aussehen.
Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und das Berliner Missionswerk jedenfalls bedauerten Anfang Januar, dass es zu der Veröffentlichung gekommen war, und verurteilten jede Form von Antisemitismus, was auch Beck begrüßte.
Die aktuelle Zurückweisung der Vorwürfe durch Abromeit dagegen sieht er recht kritisch. »Der Aufruf wurde nicht einfach verlinkt, er wurde tatsächlich in der Advents- und Weihnachtszeit mit zwei Teaser-Texten angepriesen und war auf der Website des Jerusalemsvereins direkt herunterzuladen« schreibt Beck auf Facebook. »Es war alles Bestandteil der Seite des Jerusalemsvereins.« Das müsse Konsequenzen haben.