NS-Verfolgte

Per Erlass zum Pass

Wie die Bundesregierung die Einbürgerung von Nachkommen erleichtern will

von Ayala Goldmann  05.09.2019 12:13 Uhr

Nachfahren von NS-Opfern können die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Foto: imago/Priller&Maug

Wie die Bundesregierung die Einbürgerung von Nachkommen erleichtern will

von Ayala Goldmann  05.09.2019 12:13 Uhr

Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge (...) gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben.»

Was laut Grundgesetz (Artikel 116, Absatz 2) selbstverständlich klingt, galt bis Freitag vergangener Woche allerdings nicht für zahlreiche Menschen und ihre Nachkommen, die zwar eine NS-Verfolgungsgeschichte nachweisen konnten, aber aus formellen Gründen keine deutschen Pässe bekamen.

BREXIT Unter den Interessenten sind viele britische Juden, die sich auch wegen des Brexit für die deutsche Staatsbürgerschaft interessieren. Insbesondere im Vorfeld des geplanten EU-Austritts Großbritanniens war die Zahl der Anträge auf Einbürgerung von Nachkommen NS-Verfolgter deutlich angestiegen. Nach 43 Anträgen im Jahr 2015 waren es 2018 laut Bundesinnenministerium schon 1506 Anträge, nach einer vergleichbar hohen Zahl im Vorjahr.

Nun hat das Ministerium reagiert: Die Nachfahren Verfolgter können künftig leichter einen deutschen Pass bekommen. Am vergangenen Freitag wurden zwei entsprechende Erlasse in Kraft gesetzt.

Deutschland müsse seiner historischen Verantwortung gerecht werden, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer.

Deutschland müsse seiner historischen Verantwortung gerecht werden, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU): »Das gilt insbesondere für Personen, deren Eltern oder Großeltern ins Ausland flüchten mussten. Die beiden Erlasse sind laut Seehofer eine «schnelle, unmittelbar geltende Regelung zum Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit» für die Betroffenen.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßte die neuen Regelungen. Zentralratspräsident Josef Schuster sagte: «Damit wird endlich eine Gerechtigkeitslücke geschlossen.» Er merkte aber auch an: «Sollte sich in einigen Monaten erweisen, dass dennoch Verfolgte oder deren Nachkommen von der Einbürgerung ausgeschlossen bleiben, müsste eine gesetzliche Neuregelung geprüft werden.»

AUSLANDSVERTRETUNGEN Menschen mit Wohnsitz in Deutschland können wie bisher auf regulärem Weg einen deutschen Pass beantragen. Wer im Ausland als Nachfahre von NS-Opfern die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben will, kann sich seit dem 30. August an eine deutsche Auslandsvertretung wenden.

Die Anzahl der Anfragen bewege sich «nach derzeitigem Stand» für die deutsche Botschaft in Tel Aviv «im niedrigen zweistelligen Bereich», die deutsche Botschaft in London meldete «eine niedrige dreistellige Zahl», die deutschen Auslandsvertretungen in New York, São Paulo, Rio de Janeiro, Kapstadt und Pretoria meldeten jeweils Anfragen im einstelligen Bereich, hieß es am Dienstag auf Nachfrage der Jüdischen Allgemeinen aus dem Auswärtigen Amt in Berlin.

Der Antrag ist gebührenfrei, andere Staatsangehörigkeiten kann man behalten. Betroffene müssen nachweisen, dass ihre Vorfahren während der Nazi-Diktatur zwischen 1933 und 1945 verfolgt wurden oder zu Gruppen gehörten, die verfolgt wurden. Das kann Nachfahren von Juden betreffen, von Sinti und Roma, psychisch Kranken oder auch von Kommunisten oder anderen politischen Gegnern der Nationalsozialisten.

«Damit wird endlich eine Gerechtigkeitslücke geschlossen», erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster.

Neu ist, dass auch Nachfahren von Menschen, die ausreisten, bevor ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden konnte, leichter einen deutschen Pass erhalten sollen. Dies war bislang für Menschen, die ab 1971 geboren wurden, nicht mehr möglich. Zudem sollen auch Kinder Verfolgter profitieren, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 zur Welt kamen.

Das Bundesinnenministerium will mit seinem Schritt zudem eine oft kritisierte Lücke schließen, die eheliche Kinder zwangsausgebürgerter deutscher Frauen und ausländischer Väter schlechterstellte. Es geht um Menschen, die vor dem 31. März 1953 geboren wurden – bis dahin konnte die deutsche Staatsangehörigkeit nur durch den Vater vererbt werden. Auch nichteheliche Kinder deutscher Väter und ausländischer Mütter sollen unter bestimmten Umständen von den neuen Regeln profitieren.

Einfache Kenntnisse der deutschen Sprache und Lebensverhältnisse genügen, sie sollen im persönlichen Gespräch festgestellt werden. Dabei «ist eine wohlwollende Handhabung zugrunde zu legen», heißt es in den beiden Erlassen.

GENERATIONENSCHNITT Der leichtere Zugang zum deutschen Pass soll aber nicht unbegrenzt gelten. In der Sprache des Innenministeriums: «Diese Regelung gilt für alle Abkömmlinge aufsteigender Linie bis zu dem zum 1. Januar 2000 eingefügten Generationenschnitt.» Das bedeutet: Kinder von Nachkommen NS-Verfolgter, die ab dem Jahr 2000 geboren wurden, sollen die Erleichterungen zwar nutzen können. Falls diese Menschen jedoch selbst schon Kinder haben, können diese nur dann mit eingebürgert werden, wenn sich die jungen Eltern bis zum 1. Januar 2021 für eine Einbürgerung entscheiden.

Die Grünen im Deutschen Bundestag würdigten die Aktivitäten der Bundesregierung, kritisierten aber die Form.

Die Grünen im Deutschen Bundestag würdigten die Aktivitäten der Bundesregierung, kritisierten aber die Form. Leider habe die Regierung den grünen, «sehr konkreten Vorschlag einer klaren gesetzlichen Regelung» nicht aufgegriffen, sagte Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Beauftragter für Religion und Weltanschauungen, der Jüdischen Allgemeinen. Der Erlassweg sei anscheinend nur deswegen gewählt worden, um am «Generationenschnitt» festhalten zu können: «Diese Entscheidung ist für uns nicht nachvollziehbar.»

Dass das Bundesverwaltungsamt mit der Prüfung der Anträge aus dem Ausland beauftragt werden solle, sei zudem kurzsichtig: «Schon jetzt betragen hier die Wartezeiten über zwei Jahre.»  (mit dpa)

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