Würden Amerikaner, Franzosen oder auch Israelis sich derzeit in deutsche Talkshows oder Internetdebatten verirren, könnten sie sich vorkommen wie auf einem fremden Planten. Nicht, weil überall schwarz-rot-goldene Fahnen wehen, sondern weil darum ein solches Gewese gemacht wird. Es gibt kein Land, in dem während eines großen Sport-Events wie einer Fußball-EM nicht überall die eigenen Farben zu sehen wären: an Autos, in Schaufenstern, auf Gesichter geschminkt. Überall verschwindet der vaterländische Schmuck hinterher wieder. Auch in Deutschland. Doch nur hier wird eine Debatte daraus.
Fanmeile Dass es immer noch viele gibt, die sich unwohl fühlen, wenn Deutschland im Taumel ist – das ist normal. Jeder kann Fanmeilen, Hymne und Fahnen meiden. Aber dass jedesmal ernsthaft darüber gestritten wird, ob andere Leute Flagge zeigen dürfen und in welchem Grad von Patriotismus sie sich dadurch befinden – das ist absurd.
Die Grüne Jugend, von der seit Jahren niemand Notiz nimmt, erhält plötzlich durch ein Flugblatt Aufmerksamkeit, in dem eine Linie von Turnvater Jahn bis Auschwitz gezogen und behauptet wird, Fußballjubel sei Patriotismus, und der sei gefährlich. Dazu drei Dinge: Der Turnvater hat Fußball gehasst und wäre bestimmt entsetzt gewesen, dass etwa der jüdische Fußballpionier Walther Bensemann seine Studenten kicken ließ. Zweitens sind die allermeisten Fußballfahnenschwenker keine größeren Patrioten als alle anderen. Und drittens muss man schon ein sehr enges Weltbild haben, wenn man die Verbundenheit eines Menschen mit dem Land, aus dem er stammt, per se als schädlich betrachtet.
Die Grüne Jugend schreibt: »Wir wollen das Konzept des Nationalstaats überwinden.« Denken wir den Satz mal in den Nahen Osten weiter: Israel ist so ein Nationalstaat, dessen Überwindung manchem deutschen Antifaschisten keine Bauchschmerzen bereiten würde. Dann doch lieber alle zwei Jahre Schwarz-Rot-Gold.
Der Autor ist Chef vom Dienst beim »Kölner Stadt-Anzeiger«.