Auch wenn es der österreichische Schriftsteller Karl Kraus exakt so nie gesagt hat, passt dieses ihm zugesprochene Zitat doch auf die Piraten derzeit haargenau: »Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.«
Der Beispiele sind mittlerweile allzu viele, um sie noch als bloße Pannen abzutun. Zwar besagt die Satzung der neuen Partei: »Totalitäre, diktatorische und faschistische Bestrebungen jeder Art lehnt die Piratenpartei entschieden ab.« Auch die Tatsache, dass mit der bundespolitischen Geschäftsführerin Marina Weisband eine Jüdin eine Spitzenposition innehat, scheint das Einhalten solcher programmatischer Selbstverständlichkeiten zu belegen.
Entgleisungen Aber was sagt beides schon aus, wenn zugleich anderes Führungspersonal, wie Martin Delius von den Berliner Piraten, seine Partei mit der NSDAP vergleicht und der Landeschef Hartmut Semken es ausdrücklich ablehnt, Mitglieder auszuschließen, die rechtsextrem irrlichtern – von schlimmeren Entgleisungen unterer Parteichargen ganz zu schweigen?
Diese gedanklichen Abgründe belegen erneut, dass der alltägliche Shitstorm des stinknormalen Antisemitismus, der Holocaustleugnung und des Israelhasses eben im Kern der Bevölkerung zu finden ist – und sie in der ach so transparenten Partei der Piraten nur ungefilterter offenbar werden.
Der Skandal zeigt zudem, dass keine Generation und keine Bildungsschicht trotz anderer Selbstsicht vor krudem Antisemitismus gefeit ist – auch die mehrheitlich jungen und gut ausgebildeten Piraten nicht. Deutlich wird schließlich, dass (Parteien-)Demokratie eben nicht mit ein paar Klicks und elektronischen Zauberstäben à la LiquidFeedback zu machen ist, sondern nervige Programmarbeit erfordert, auf deren Grundlage man erst den »Müll und Dreck« (Weisband) loswerden kann, der den bisherigen Medienglanz der Piraten trübt. Die Partei darf dieser Mühe und diesen Konflikten nicht aus dem Weg gehen.
Der Autor ist Reporter bei der Tageszeitung »taz«.